Subject: Was kann ich für Sie tun, schöne Frau?

Warum wohlwollender S*xismus einfach auch S*xismus ist …

Liebe Freund*innen,


»Oaaaar Leute, wirklich jetzt? Schon wieder?? Dafür habe ich aber sowas von überhaupt keinen Nerv jetzt.« Das habe ich heute Morgen gedacht, als ich im Gemüseladen stand. Hier schreibt übrigens Ariane, PINKSTINKS Geschäftsführerin, und ich wollte ein ärgerliches Erlebnis mit euch teilen. Es ist nämlich so: Ich finde es toll, wenn Menschen nett sind. Wirklich. Ich liebe das sehr, wir alle brauchen das. Was mich aber zunehmend wütend macht, ist als Nettigkeit getarnter Sexismus. Liebe Männer, die ihr diesem Hobby nachgeht: Lasst. Es. Einfach.

Ich möchte nicht dauernd auf mein Aussehen angesprochen werden. Ich möchte nicht, so wie heute, im Gemüseladen mit »Guten Morgen, Schönheit« begrüßt werden. Ich möchte nicht bei einer Ansammlung mehrerer weiblich gelesener Personen hören »So viele schöne Frauen hier!«. Ich möchte nicht, dass mir ein Mann sagt »Sie sehen ja wieder toll aus« und dabei zu allem Überfluss dann auch noch auf meine Brüste schaut (Entschuldigung, eine Frage: WIE kann man denken, dass die andere Person nicht sieht, dass ihr auf die Brüste geschaut wird?!?!). Ich möchte nicht, dass der Kellner im Restaurant zu mir sagt: »Attraktive Frauen bekommen bei uns immer einen Platz«.

Einige würden jetzt sagen, es gäbe weitaus schlimmere Sachen, das wäre doch im Grunde alles nett gemeint, da müsse man sich doch nicht so aufregen. Ich finde, doch – da MUSS man sich aufregen. Diese vermeintlichen Nettigkeiten und Komplimente führen mir nämlich vor Augen, dass ich ununterbrochen optisch bewertet werde aufgrund meines Geschlechts. Dass mein Körper die ganze Zeit bewertet wird. Dass bewertet wird, ob ich nach gängigen Idealen als »schön (genug)« gelte. Und GENAU DAS zementiert Sexismus. Genau das zementiert, dass Frauen auf ihren Körper reduziert und als weniger kompetent wahrgenommen werden. Und das passiert dann oft auch noch auf eine schwer zu entlarvende Art als »Kompliment« – so dass viele Frauen und weiblich gelesene Personen, die derlei »Komplimente« zu hören kriegen, selbst oft unsicher sind, ob sie sich anstellen oder ob sie gerade wirklich abgewertet werden.

Viele Männer leben offensichtlich in der Annahme, es stehe ihnen zu, weibliche Körper unentwegt kommentieren zu dürfen. Wird ihnen ja auch so beigebracht, in der Werbung, in Filmen und Serien, in Büchern. Wir sind alle damit aufgewachsen. Weibliche Körper haben demnach zur Bewertung zur Verfügung zu stehen und müssen kontrolliert werden. Dafür gibt's dann bei Wohlgefallen ja immerhin auch »Komplimente« – oder eben Maßregelung.

Denn natürlich sind wir schnell auf der Kehrseite dieser vermeintlichen Komplimente: Negative Kommentare zu Körpern werden ebenso ungefragt und selbstbewusst geäußert. Wenn ich als Frau vermeintlich »zu viel« Haut zeige, als »zu alt« für die Kleidung empfunden werde oder die Gesellschaft mit meiner angeblichen Hässlichkeit und Ekligkeit belästige (ohhh, das geht schnell: einfach mal nicht rasieren im Sommer. Für Fortgeschrittene: Damenbart nicht weg machen!): Dann werde ich abgewertet und mir wird unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass das unangebracht sei. Oder dass ich gar Männer provoziere und mich dann nicht wundern müsse, wenn sie sich eingeladen fühlten, sich übergriffig zu verhalten.

Es ist höchste Zeit, dass wir als Gesellschaft lernen, uns gegenseitig positive Rückmeldungen zu geben, die unabhängig sind von stereotypen Zuschreibungen. Ansonsten zementieren wir überholte Geschlechterrollen und hindern uns daran, wirklich gleichberechtigt zu leben. Sprache manifestiert eben Bewusstsein und wir wissen anhand so vieler Studien, wie wirkmächtig sie ist. Ich muss immer an den schönen Satz der Autorin und Kabarettistin Michaela Dudley denken, der da lautet: »Die Entmenschlichung fängt mit dem Wort an, die Emanzipierung aber auch.« Also, let’s go!

Denn die Lösung ist recht einfach. (Nein, sie lautet natürlich nicht: statt »Guten Morgen, schöne Frau« einfach »Hallo, Sie mit den hässlichen Haaren« zu sagen.)

Sie lautet: geschlechterstereotype und sexistische Ansprache sein lassen und einfach nett sein zueinander. Einfach nett! Ohne unangebrachte und übergriffige Kommentare.

Ok, und was soll ich tun, wenn ich mir nicht sicher bin? Ganz einfach – dir selbst folgende Fragen stellen:

Gegencheck: Würde ich das so zu einem Mann sagen?

Bewertet mein Kommentar das Äußere auf unangebrachte oder unnötige Art?

Treffe ich gerade Annahmen oder Aussagen in Bezug auf mein Gegenüber, die auf einem Geschlechterklischee beruhen?

Im Übrigen hatte ich kürzlich bei Edeka eine ähnlich herabwürdigende Situation wie heute Morgen im Gemüseladen. Ich bat einen Verkäufer, mir den Alkohol-Schrank aufzuschließen, weil ich gerne eine Flasche Gin käuflich erwerben würde. Woraufhin er mir ernsthaft entgegnete: »Hoffentlich hat ihr Mann das erlaubt!« Ich habe ihm erklärt, warum diese Bemerkung absolut unangebracht und herabwürdigend war, woraufhin er schulterzuckend entgegnete: »Hm, bisher haben eigentlich alle Frauen darüber gelacht.« Woraufhin ich wiederum sagte: »Ja, ha ha, kein Wunder! Für Frauen und weiblich gelesene Personen ist es leider normal, oft auch mehrfach am Tag sexistische Äußerungen zu hören, und wir haben nicht immer die Zeit oder die Kraft oder die Lust, Männer ständig zu bilden und ihnen zu erklären, warum ihr Verhalten gerade nicht ok war. Da würden wir ja zu nichts anderem mehr kommen. Daher lachen wir manchmal einfach! Auch wenn uns überhaupt nicht zum Lachen zumute ist.«

Traurig, aber wahr. Und oft ein Schutz.

Deswegen mein dringender Appell an alle Männer: Sagt es eurem Freund, Kollegen, Nachbarn, Schwippschwager und was weiß ich noch wem, wenn er sich unangemessen geäußert hat. Es kann nicht (allein) die Aufgabe von diskriminierten Personen sein, zu Diskriminierung zu bilden.

Jetzt muss ich natürlich noch verraten, wie ich die Situation heute im Gemüseladen gelöst habe: Ich habe NICHTS gesagt. (Also, ich hab schon was gesagt, aber nicht zu der sexistischen Begrüßung.) Ging heute irgendwie nicht. Ich hab schon soooo oft etwas gesagt, hatte heute echt keine Energie dafür, wollte einfach schnell raus.

Und das ist auch VÖLLIG OKAY! Manchmal geht’s einfach nicht.

Achtet gut auf euch!


Und: tausend Dank, dass ihr mit uns zusammen dafür kämpft, dass die Welt gerechter wird!

Alles Liebe ❤️

eure Ariane

P.S.: Was mir gerade noch einfällt: Habt ihr Männer in eurem Umfeld, die auch Sachen sagen wie »Lass doch mal die schöne Frau vorbei!«? Leitet denen doch einfach mal diesen Newsletter weiter!

P.P.S.: Wir haben auf unseren Newsletter Ende Oktober zum Thema Gendern sooooo viele schöne Nachrichten und großartige Fragen von euch bekommen! Ihr seid toll! 💜
Wir wollen alles nach und nach hier im Newsletter beantworten – heute geht’s direkt los damit und zwar unten in unserer neuen Rubrik *Gendern – ganz einfach*.

* GENDERN – GANZ EINFACH *

So viele spannende Fragen habt ihr geschickt! Danke sehr! Newsletter für Newsletter wollen wir hier in dieser Rubrik eure Fragen beantworten. Außerdem haben wir weitere Tipps zusammengestellt, die wir auch demnächst hier veröffentlichen werden. Einige Fragen kamen mehrfach – um die kümmern wir uns zuerst.


🤔 Gesucht wird:
eine inklusive Alternative für »sehr geehrte Damen und Herren«


🤩 Wir schlagen vor:  
»Guten Tag!« – geeignet für Briefe, Mails, Reden & Vorträge

»Sehr geehrte Damen, Herren und Diverse!« – geeignet für Briefe, Mails, Reden & Vorträge

»Sehr geehrte Lesende!« – geeignet für Briefe & Mails

»Sehr geehrte Interessierte!« – geeignet für Briefe, Mails, Reden & Vorträge

»Sehr geehrtes YX-Team!« – geeignet für bestimmte Briefe & Mails

»Sehr geehrtes Publikum!« – geeignet für Reden & Vorträge


💜 Waren diese Tipps hilfreich für euch? Wir hoffen es! 💜

 MAGAZIN

How to: Gendersensibel erziehen


Sexualwissenschaftlerin Christiane Kolb denkt für PINKSTINKS laut darüber nach, was erziehenden Personen im Alltag gegen Stereotype hilft und wie geschlechtergerechte(re) Erziehung klappen kann. weiterlesen 

KURZ VERLINKT

Lesenswert: Hêlîn Dirik hat ein wundervoll kraftvolles Plädoyer für mehr Selbstorganisation im Kampf gegen patriarchale Gewalt für das »Missy Magazine« geschrieben.


Nobelpreis für die Gender-Pay-Gap-Erforscherin: Die Harvard-Professorin Claudia Goldin wurde für die »Aufdeckung der wichtigsten Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede auf dem Arbeitsmarkt« von der Königlich-Schwedischen Akademie der Wissenschaften ausgezeichnet. Einen Nobelpreis für feministische Forschung – das finden wir richtig gut!


Noch einmal der Hinweis auf diese wichtige Veranstaltung:

Lesung und Diskussion mit Asha Hedayati am 14. November im Kölibri in Hamburg. Die Rechtsanwältin und Autorin liest aus ihrem Buch »Die stille Gewalt. Wie der Staat Frauen alleinlässt«, in dem sie aus ihren Erfahrungen berichtet und strukturelle Probleme aufzeigt, im Anschluss wird diskutiert. Veranstaltet von der Heinrich-Böll-Stiftung – und PINKSTINKS ist Kooperationspartner*in. Mehr Infos findet ihr hier.

Bleib mit uns in Verbindung:


Pinkstinks ist gemeinnützig und als besonders förderungswürdig anerkannt.

Spenden an Pinkstinks sind steuerlich absetzbar.



Oder per Überweisung auf unser Spendenkonto:

Pinkstinks Germany e.V.

IBAN: DE88430609672039890901

BIC GENODEM1GLS


Pinkstinks Germany e.V.
Dr. Miriam Krieger
Eppendorfer Weg 95a
20259 Hamburg
+49 (0)40 60780703