Subject: Philanthrokapitalismus, Gentechnik & gemeinsamer Widerstand

vandana-shiva.de | Newsletter

Liebe Leserinnen und Leser,


nun ist er endlich da, der Frühling. Alles grünt, sprießt und blüht und Mutter Erde zeigt sich von ihrer schönsten Seite. Doch es droht Gefahr für die Natur, denn die EU-Kommission will schon Anfang Juni einen neuen Entwurf für die Deregulierung Neuer Gentechnik (NGT) vorlegen.


Obwohl die Risiken noch nicht ausreichend erforscht sind, pusht die Gentechnik-Lobby für eine beschleunigte Zulassung. Um die in Europa noch strengen Regelungen zu GVO umgehen zu können, wird dabei argumentiert, dass die durch NGT erzeugten Organismen gar nicht »gentechnisch verändert« seien, da im Gegensatz zur bisherigen Gentechnik keine artfremden Gene eingefügt werden. Hingegen wird »nur« das Erbgut (Genom) eines Tieres oder einer

Pflanze zum Beispiel mit der sogenannten Gen-Schere (CRISPR/Cas) gezielt verändert. Die EU-Kommission sowie auch die zuständige Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit DG Sante scheinen dies akzeptiert zu haben, obwohl eine neue Studie eine bisher unbekannte Dimension von Umweltrisiken aufzeigt.


Gemeinsamer Widerstand


Nicht nur Bio-Bauern sind über die Pläne der EU zur Deregulierung der Neuen Gentechnik besorgt. Auch konventionelle Landwirte, die gentechnikfrei füttern und erzeugen, fürchten um ihre Existenz. In einem gemeinsamen Offenen Brief an die EU-Kommission fragen daher die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und die Katholische Landvolkbewegung auch ganz konkret nach, wie das Recht auf gentechnikfreie Lebensmittelerzeugung gesichert, die Wahlfreiheit für Verbraucher gewährleistet und die Rückholbarkeit solcher GVO im Schadensfall garantiert werden soll. Ihre Bedenken zur NGT, die auch von vielen unabhängigen Saatgutzüchtern geteilt werden, wurden kürzlich im ARD-Beitrag von Plusminus »Genschere Crispr: EU will Gentechnik-Gesetze lockern« aufgegriffen. Eine aktuelle Petition von foodwatch an Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir fordert: »Gentechnik muss erkennbar bleiben!« Es bleibt abzuwarten, in welcher Form die EU ihre Pläne im Juni präsentieren wird.


Sicher ist: Wir alle müssen wachsam bleiben und unser Recht auf Wahlfreiheit für gentechnikfreie Lebensmittel verteidigen. Wir möchten Sie deshalb dazu ermuntern, diesen Newsletter an Interessierte weiterzuleiten. Es gilt jetzt, zusammenzustehen und an einem Strang zu ziehen, wie es nun auch Fridays for Future Germany (FFF), »Landwirtschaft verbindet Deutschland e.V.« (LSVD), Parents for Future Germany (P4F) und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) im Bezug auf das EU-Mercosur-Freihandelsabkommen tun, das das industrielle Agrarmodell mit Gentechnik und Pestiziden auf beiden Seiten des Atlantiks zementieren würde. Unterstützt vom Netzwerk Gerechter Welthandel wird es dazu in den kommenden Wochen gemeinsame Protestaktionen geben, zum Beispiel am 26.05. in Hannover, Ulm oder in Bonn vor dem Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.


Alle bisher versandten Newsletter haben wir auch im neu eingerichteten Newsletter-Archiv auf unserer Webseite zusammen gestellt. Abschließend möchten wir Ihnen die folgenden Worte von Vandana Shiva mit auf den Weg geben, die sie beim EM-Chiemgau Frühschoppen auf die Frage einer jungen Dame antwortete, wie sie es schaffe, nicht frustriert zu werden und immer wieder die Kraft finde, weiterzukämpfen:


»Beschütze alles, was Dir wichtig ist, mit vehementer Liebe. Du wirst nie die Energie verlieren, wenn Du Menschen mit Liebe begegnest. Es ist eine wunderbare Welt, in der wir leben, und Mutter Erde braucht unsere Hilfe.«


Und jetzt wünschen wir Ihnen viel Spaß beim Lesen!


Mit erddemokratischen Grüßen,

Ihr vandana-shiva.de-Team

Inhalt


Neues Buch »Philanthrokapitalismus«


Ein Abend mit Vandana Shiva in Rosenheim


Kommende Veranstaltungen mit Vandana Shiva

Evangelischer Kirchentag in Nürnberg am 7. Juni

World Ethic Forum in Zürich am 18. Juni


Spendenaufruf für den Navdanya Fund

Neues Buch »Philanthrokapitalismus«

Im neuen, von ihr selbst herausgegebenen und soeben erschienenen Buch »Philanthrokapitalismus & die Aushöhlung der Demokratie: Ein globaler Bürgerbericht« schreibt Vandana Shiva dazu:


»Lebende Organismen sind komplexe, sich selbst organisierende und sich entwickelnde Systeme. Wenn Gene durch Gentechnik hinzugefügt, bearbeitet oder entfernt werden, wird die Selbstorganisationsfähigkeit lebender Systeme gestört. Aber der sich selbst organisierende Organismus wird sich trotzdem weiterentwickeln. Wie er sich entwickeln wird, ist unvorhersehbar und unbekannt.« (S. 63)

Die Passage stammt aus Dr. Shivas Beitrag zum Buch »Saatgutaneignung durch neue Gen-Editierungs-Technologien«, der zusammen mit knapp dreißig weiteren Beiträgen von Aktivisten, Forschern und zivilgesellschaftlichen Organisationen aus allen Teilen der Welt ein eindrückliches Bild vermittelt, wie Milliardäre und Superreiche dabei sind, sich die natürlichen Ressourcen unserer Erde zu eigen zu machen. Und nicht nur das, auch Bildung, Gesundheitswesen und Scheinlösungen für den Klimawandel stehen auf ihrer Liste. Dabei geht es wenig um »Philanthropie« – Wohltätigkeit für die Allgemeinheit – und viel um Profit, Kontrolle und Macht, mit der sich auch demokratische Wege und internationale Abkommen umgehen lassen.

Gentechnik, Patente und Digitale Sequenz-Information (DSI)


Wer ein Patent auf eine Erfindung hat, wird bei jedem Umsatz des betreffenden Produktes am Gewinn beteiligt. Indem man eine gentechnische Veränderung an einer Pflanze vornimmt, entsteht dadurch eine »neue Erfindung«, die sich die Entwickler und ihre Finanziers patentieren lassen. So werden Pflanzen und Tiere zu Firmeneigentum - ein wahrer Geldsegen für die betreffenden Konzerne und ihre Investoren. Doch die Aneignung »geistigen Eigentums« geht noch weiter. Inzwischen werden Informationen aller genetischen Sequenzen von Saatgut digitalisiert, was zur Verbesserung des Saatguts dienen soll. Allerdings erkennen einige Länder und große Saatgutunternehmen die Verpflichtung zur Verteilung der Gewinne nicht an. Im Buch schreibt José Esquinas-Alcazar, ehemaliger Sekretär der FAO-Regierungskommission für genetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft dazu:


»Ohne die Landwirte, die die ursprünglichen Sorten entwickelt haben, gäbe es gar keine Informationen. Das ist so, als würde man ein gedrucktes Buch kaufen, sich aber weigern, für die digitale Version desselben Buches zu bezahlen, obwohl die Urheberrechte dieselben sind. Wir stehen vor einer Revolution in der Art und Weise, wie wir Saatgut konzeptualisieren, es betrachten und mit ihm umgehen.« (S 113/114).


Was die Philanthrokapitalisten unserer Zeit sonst noch so vorhaben und wie ihre geschickt konstruierten Erfolgsmodelle funktionieren, können Sie vorab in unserer Pressemitteilung zum Buch lesen. Eine Leseprobe und weitere Infos zum Buch gibt es hier.

Ein Abend mit Vandana Shiva in Rosenheim

Bild von Bund Naturschutz (v.l.n.r.: Maria Noichl, Vandana Shiva, Richard Mergner, Harald Ulmer und Christoph Fischer)

Am 14. Mai 2023 kamen auf Einladung des Bündnisses Gentechnikfreies Bayern rund 700 Menschen zur Veranstaltung »Gentechnik & Patente – Wir bleiben wachsam« ins Kultur + Kongresszentrum Rosenheim. Gastrednerin war Vandana Shiva, die mit großem Applaus begrüßt wurde. Die Wasserburger Stimme titelte »Ein Weltstar aus Indien war zu Gast«.


Neben Dr. Shiva sprachen auch Richard Mergner, Vorsitzender des BUND Naturschutz in Bayern, Maria Noichl, Mitglied des Europäischen Parlaments, Harald Ulmer, BN-Agrarreferent und Christoph Fischer von EM-Chiemgau, der zuvor zum Frühschoppen mit Vandana Shiva in der Chiemgau Akademie geladen hatte (einen sehr schönen Bericht dazu mit vielen Fotos finden Sie hier).


Sie alle eint der Kampf gegen die Patentierung und gentechnische Veränderung der Natur durch Agrarkonzerne, der nun mit der drohenden Deregulierung der NGT durch die EU-Kommission in eine neue Runde geht. Und so diente der Abend dazu, über die Risiken und Hintergründe zu informieren sowie einen kraftvollen Appell an die Politik zu richten:


»Mister Söder, catch up with your science, catch up with your responsability.

Keep Bavaria GMO-free!«


»Herr Söder, holen Sie Ihre Wissenschaft ein, holen Sie Ihre Verantwortung ein. Halten Sie Bayern gentechnikfrei!« sagte Vandana Shiva am Schluss ihres Vortrags und knüpfte damit an ihren letzten Besuch in Rosenheim von 2009 an, bei dem sie vor 3.500 Menschen inklusive CSU-Mandatsträgern in der Inntalhalle sprach und der damals die Wende in der Politik brachte – die Ausbreitung der Agro-Gentechnik wurde verhindert.


Nun gilt es, erneut Stellung zu beziehen. Harald Ulmer, Agrarreferent des Bund Naturschutz und Gründer und Geschäftsführer der Werkstatt für Agrarkultur, rief dazu auf, die Veranstaltung am 14. Mai als Startschuss für einen breiten zivilgesellschaftlichen Widerstand gegen die Pläne der EU zu verstehen und die Politik an ihre Verantwortung zu erinnern. Die bei der Veranstaltung ausliegenden Postkarten an Bundeskanzler Olaf Scholz im Rahmen der deutschlandweiten Mitmach-Aktion »Wir kennen den Unterschied!« waren schnell vergriffen, können aber jederzeit nachbestellt oder auch digital verschickt werden. Weitere Einzelheiten zum Abend in Rosenheim können Sie in der Pressemitteilung des Bündnisses für eine gentechnikfreie Natur und Landwirtschaft in Bayern lesen.


Kristin Mansmann, Mitgründerin der FoodHubs und Bio-Imkerin, brachte die Brisanz der Situation in einem eigenen Bericht des FoodHub München zu Vandana Shivas Bayern-Aufenthalt auf den Punkt: »Wenn es zu diesen neuen gentechnischen Verfahren kommt, gibt es keine Bio-Landwirtschaft mehr, wie wir sie kennen. Pollen fliegen bis zu 300 km – und schon wächst auch dort genverändert, wo es eigentlich gar nicht geplant war. Das muss jedem klar sein.«


Vandana Shiva selbst erinnerte an diesem 14. Mai – dem diesjährigen Muttertag und somit auch Tag von Mutter Erde – zudem daran, dass unsere Erde – Terra Madre, Gaia, Pachamama, Vasundhara – ein lebendes, sich selbst organisierendes, regulierendes und regenerierendes System ist. Sie hält das Gleichgewicht aller an der Natur beteiligten Lebewesen, von den Mikroorganismen bis zu den Säugetieren. Sie gibt uns, was wir zum Leben brauchen und verdient unseren Schutz. Wenn wir ihr ins Handwerk pfuschen, spielen wir mit unserer eigenen Zukunft.

Kommende Veranstaltungen mit Vandana Shiva


Evangelischer Kirchentag: »Raubbau an Gottes Garten - Lässt sich das Artensterben stoppen?«

Am 7. Juni wird Vandana Shiva zusammen mit Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese, Biologin, und Dr. Holger Hennies, Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands, im Rahmen des Podiums »Zentrum Schöpfungsverantwortung« des Evangelischen Kirchentags in Nürnberg diskutieren. Die Moderation übernimmt die Journalistin Christiane Grefe.

Zeit & Ort: 07.06.2023, 11 bis 13 Uhr – St. Sebald, Winklerstr. 26, Nürnberg


World Ethic Forum: »Ein Tag im ›Leben für die Erde‹ mit Vandana Shiva«

Im Rahmen des diesjährigen Programms des WorldEthicForums wird am 18. Juni in Zürich der Dokumentarfilm »Vandana Shiva – Ein Leben für die Erde« gezeigt. Zuvor wird Dr. Shiva einen Impulsvortrag zum Thema »Die Schweiz – ein Nährboden für Regeneration?« halten. Danach findet eine Podiumsdiskussion sowie ein Partizipatives Gesprächslabor zum Thema »Ernährung in Zeiten des Wandels« statt.

Zeit & Ort: 18.06.2023, 10 bis 17 Uhr – Theatersaal Spirgarten, Lindenplatz, Zürich

Spendenaufruf für den Navdanya Fund

Seit 1991 leistet die von Vandana Shiva gegründete Bewegung Navdanya (»Neun Samen«) Pionierarbeit für die Verteidigung der Saatgut- und Ernährungssouveränität von Kleinbauern in aller Welt.


Spenden für den Navdanya Fund werden gezielt für Projekte verwendet, die in Indien für eine gentechnikfreie und ökologische intakte Welt kämpfen und den biologischen Landbau entwickeln.

»Wer denkt, dass eine neue Welt von oben nach unten entstehen kann, hat es nicht verstanden. Das Leben wächst von unten nach oben!«

Vandana Shiva

Verantwortlich für die Inhalte:
Neue Erde GmbH, Cecilienstr. 29, 66111 Saarbrücken

Vertreten durch:

Andreas Lentz

Redaktionell verantwortlich:

Evelyn Rottengatter

Kontakt:

Telefon: +49 (0)681 595 398-0


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