COL6 Newsletter 12/2023
Liebe alle,
Anbei der letzte Newsletter für 2023, diesmal etwas später als sonst. Ihr findet darin wieder einige interessante Links, eine Buchvorstellung und den Bericht von einem internationalen Kollagen-VI Treffen in Spanien, an dem ich teilnehmen konnte. Ich hoffe, es geht Euch allen gut und Ihr hattet besinnliche und erholsame Weihnachtstage. Euch und Euren Familien wünsche ich einen guten Rutsch ins neue Jahr!
Ich freue mich sehr auf ein gemeinsames spannendes Jahr 2024 und die Arbeit in und an unserer neu eingerichteten Diagnosegruppe. Ich denke, wir können im Jahresrückblick stolz auf das sein, was wir in 2023 als Gruppe auf die Beine gestellt und erreicht haben. Nun gilt es in 2024 hierauf weiter aufzubauen und die neue Diagnosegruppe mit Leben und Inhalten zu füllen. Hierbei freuen wir uns über jeden und jede Einzelne, der/die aktiv mitarbeiten und Input geben will.
In 2024 wird auch die Arbeit am Kollagen-VI Wissenschaftsnetzwerk fortgesetzt. Hierfür sind wir weiterhin für Spenden auf das folgende Konto sehr dankbar.
Deutsche Gesellschaft für Muskelkranke e.V.,
Bank für Sozialwirtschaft, Karlsruhe,
IBAN: DE84 3702 0500 0007 7722 00
Kennwort: Jeanette Erdmann
Das nächste online Treffen werden wir dieses Mal am ersten Freitag im Januar, also dem 05.01.2024 um 19.00 Uhr unter dem gleichen Link wie das letzte Mal abhalten:
Ich freue mich, Euch dort zu sehen!
Euer Urs
Aktivitäten aus der Community:
Interview mit Prof. Dr. Klaus Birnstiel über sein Leben mit Assistenz:
https://www.swr.de/swr2/leben-und-gesellschaft/muskeldystrophie-und-persoenliche-assistenz-der-alltag-von-klaus-birnstiel-swr2-leben-2020-11-11-100.html
Community Mitglied Christiane und ihr Mann Axel kämpfen mit der Hamburger Eingliederungshilfe:
https://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article240329956/Eheleute-in-Rollstuehlen-kaempfen-mit-Amt-um-Unterstuetzung.html
Community Mitglied Christiane und ihr Mann Axel über bauliche Barrieren in ihrem Staddteil (aus dem Archiv):
(FD)
Neuer Rechtsratgeber für behinderte Menschen und Angehörige
Vom Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen gibt es einen neuen Ratgeber mit dem Titel: “Mein Kind ist behindert – diese Hilfen gibt es”. Der Ratgeber steht kostenlos online als Download zur Verfügung. Es gibt auch die Möglichkeit, eine gedruckte Version zu bestellen.
https://verlag.bvkm.de/produkt/mein-kind-ist-behindert-diese-hilfen-gibt-es-deutsch/
(UK)
Buchvorstellung:
Jan Grue: I live a life like yours - a memoir (2021; englisch)
Der norwegische Autor schaut mit 37 Jahren auf sein gesamtes bisheriges Leben zurück. Heute ist er Soziologieprofessor, verheiratet mit Kind und Autor einiger Werke, darunter Erwachsenen-, Kinder- und Fachliteratur. Seine zentrale Erkenntnis ist, dass er heute ein selbstbestimmtes Leben lebt, welches sich die Ärzte, Lehrer und Sozialarbeiter für ihn nicht vorstellen konnten. Die alte Diagnose wird genannt, Spinale Muskelathrophie 2-3, die neue hingegen nicht. Er beschreibt detailreich Aspekte seiner Erkrankung, es gibt viele Parallelen zur Kollagen-VI Muskeldystrophie (Bethlem). Er kann bis zur heutigen Gegenwart Laufen, fällt aber über kleinste Hindernisse und nutzt schon seit der Kindheit draußen einen E-Rollstuhl. Der baldige Verlust der Gehfähigkeit sowie erheblicher Unterstützungsbedarf im Alltag wurde ihm ärztlicherseits mehrfach angekündigt, ist aber bis zur Veröffentlichung des Buches nicht eingetreten.
Jan Grue ist ein empfindsamer, guter Beobachter und Beschreiber, er zieht auch andere wissenschaftliche Theorien und Filme, Musik usw. für seine Vergleiche heran. Er zeichnet ein sehr greifbares Bild seiner Muskeldystrophie, die Auseinandersetzungen mit Fachbehörden, Ärzten, das schwierige Aufstehen vom Sofa. Ein ganzer Regalmeter voller Arztberichte und Korrespondenz. Und all das immer mit der Zielsetzung, dem Sohn ein Leben zu ermöglichen, wie es jedes andere nichtbehinderte Kind auch lebt. Von der Schwierigkeit, geeignete Schuhe zu finden, der Erkenntnis, dass selbstgebaute Hilfsmittel besser sind als gekaufte. Ein Studienjahr in Amerika ein Jahr lang vorzubereiten und zu verbringen oder von der unschönen Erfahrung, als Kind in der Nacht Orthesen tragen zu müssen. 100 Fahrstunden zum Erwerb des Führerscheins zu nehmen, an der Uni Oslo einer von zwei körperbehinderten Studenten im Bereich Geisteswissenschaften zu sein. Das Gespräch mit den Eltern und der Frage, wie das Aufwachsen mit ihm und der Muskeldystrophie für die Eltern und die Schwester war, schwierig. Mitmenschen, die ihn fragen, ob er seinen Rollstuhl mit ins Bett nimmt. Die Erfahrung, als behinderter Mensch am Flughafen wie Frachtgut abgefertigt zu werden und ein Störfaktor im Betriebsablauf zu sein, der besser zu hause bleibt. Ein reflektiertes, selbstkritisches und demütiges Buch, das greifbar und realistisch das Leben mit der Systemerkrankung Muskeldystrophie beschreibt. So etwa die Selbsterkenntnis aufgrund eines Knochenbruchs, dass alles auch ganz anders für ihn hätte kommen können und er auch ein fremdbestimmtes, typisches Behindertenleben hätte führen können. Schon zuvor beschreibt er anerkennend, was seine Eltern für ihn alles bewerkstelligt und geleistet haben und wie viel schlechter es wohl Betroffenen ohne solche engagierten Eltern ergehen würde. Dass sie vermutlich seinen Führerschein und sein Studium und die Flüge bezahlt haben, erwähnt er jedoch nicht. Aber auch überraschende Entscheidungen trifft er als Erwachsener, etwa der Ausstieg aus regelmäßiger ärztlicher Betreuung und Physiotherapiebehandlung, da diese ihm vermeintlich nichts Neues mehr aufzeigen kann. Zudem beschreibt er seine Muskeldystrophie als stabil, merkt aber selbst an, dass jeder neue Winter doch schwieriger für ihn zu überstehen war als der jeweils vorangegangene. Das Buch ist allerdings nur auf englisch erhältlich, Englischkenntnisse der gymnasialen Oberstufe (mindestens B2) sollten vorhanden sein. Insgesamt ein Buch für betroffene ab mitte 30 aufwärts oder Eltern, die sich tiefer und besser in die Lebenssituation, Empfindungen und Konflikte ihres behinderten Kindes hineinversetzen wollen und philosophisch-psychotherapeutische Gedankengänge sowie Selbstzweifel nicht scheuen. Wer die norwegische TV-Serie “Beforereigners (2019 + 2021)”, den Deutschrapper Curse sowie den Liedermacher Heinz Rudolf Kunze mag, dem wird dieses Buch gefallen.
Bericht zur Kollagen-VI Tagung in San Sebastian
Vom 27.-29. November hat die spanische Patientenorganisation Fundacion Noelia ein internationales Treffen für Kollagen-VI Forscher in San Sebastian organisiert. Ich hatte die Gelegenheit, an diesem Treffen als Vertreter der DGM teilzunehmen. Ebenfalls dabei war Franziska Haarich, die ihre Promotion bei Jeanette Erdmann begonnen hat und nun kurz vor dem Abschluss steht sowie Prof. Bönnemann. Es gab eine Vielzahl wissenschaftlicher Vorträge. Um Euch einen Eindruck zu vermitteln, was sich im Moment alles in dem Feld tut, werde ich hier eine kurze (unvollständige) Übersicht in Form einer Auflistung geben. Wer mehr Detailtiefe will, kann mich gerne via Email kontaktieren.
Valerie Allamand (Frankreich): Berichtete zu einem realistischeren Modell von Zellwachstum in der Petrischale.
Payam Mohassel (USA): Trug über seine Studie zur Fehlregulation des TGFβ-Signalwegs vor (siehe auch die Zusammenfassung dieser Sudie im Newsletter aus September 2023).
Vittoria Cenni (Italien): Hielt einen Vortrag über Ihre Forschung zur mechanischen Streßresistenz von Gewebe bei Kollagen-VI.
Nicolas Dumont (Kanada): Berichtete über Beeinträchtigungen der Muskelstammzellen bei Kollagen-VI.
Sam McDonald (UK): Stellte ausgewählte Daten aus dem britischen Kollagen-VI Register vor.
Daniel Natera de Benito (Spanien): Stellte die Grundlage der aktuellen Einteilung in die Kategorien Bethlem, Intermediär und Ullrich vor. Diese basiert auf der Fähigkeit alleine vom Boden aufstehen zu können (was Ullrich Patienten nicht können, intermediär Betroffene hingegen schon), bzw. vier Treppenstufen ohne Geländer ersteigen zu können (was intermediär Betroffene nicht können, Bethlem Patienten hingegen schon).
Nicolas Deconninck (Belgien): Sprach über mögliche genetische Marker, die auf einen milderen oder schwereren Krankheitsverlauf hinweisen könnten.
Alba Segarra (Spanien): Stellte verschiedene Fallstudien im Hinblick auf den diagnostischen Prozess vor.
Reghan Foley (USA): referierte zu den notwendigen Bedingungen für Medikamentenstudien und den aktuell erreichten Stand.
Franziska Haarich (Deutschland): Gab ein Update zu Ihrer Forschung zu einer möglichen Kollagen-VI Therapie mit der CRISPR Methode, die sie bereits in Leimen vorgestellt hatte und wo sie jüngst weitere Fortschritte erzielen konnte.
Francesco Saverio Tedesco (UK): Stellte einen Ansatz vor, um die Eigenschaften von durch Kollagen-VI veränderter Muskulatur im Labor zu messen.
Josep Porta (Spanien): Sprach darüber, wie man mit künstlicher Intelligenz Kollagen-VI aus Bildern von Zellkulturen diagnostizieren kann.
Astrid Brull (USA): Forscht in Prof. Bönnemanns Labor und gab einen Vortrag über die Behandlungsmöglichkeiten bei einer speziellen Mutationsart, den Glycin-Substitutionen.
Haiyan Zhou (UK): Gab eine Zusammenfassung über die verschiedenen Ansätze der genetischen Therapien bei Kollagen-VI Erkrankungen
Paolo Bonaldo (Italien): Sprach über die Behandlung von Kollagen-VI Mäusen mit dem Nahrungsergänzungsmittel Spermidin (siehe auch den Newsletter von Oktober 2023).
Neben dem wissenschaftlichen Programm fand auch ein Treffen der Vertreter von Patientenorganisationen aus Spanien, Italien, England, den USA und der Türkei statt, an dem ich ebenfalls teilgenommen habe. Bei diesem Treffen wurde für die Zukunft eine enge Zusammenarbeit und ein regelmäßiger Austausch untereinander vereinbart. Am Ende besichtigten wir noch eine örtliche Firma, die Adenoviren herstellt, die für viele genetische Therapieansätze als Grundlage dienen.
Das von der Fundacion Noelia organisierte Treffen hat mir persönlich gezeigt, was sich momentan in Sachen Kollagen-VI Forschung alles tut und was man als Patientengruppe alles erreichen kann!