Subject: Das neue Pilgern

Liebe Mitmenschen auf dieser Erde!
Am Ende dieses Sommers möchte ich noch einmal genauer der Frage nachgehen, wie sich (neue) Pilger auf dem siebenfachen Weg des kristallenen Herzens von Touristen unterscheiden. Schließlich reisen auch Pilger von weither an und brauchen Unterkunft sowie Verpflegung. Wenn wir in einem Urlaubsgebiet wie hier in Südtirol der Touristen zuweilen überdrüssig werden, was ist es dann wirklich, was uns an ihnen stört? Ist es ihre schiere Zahl, die verstopften Straßen und überfüllten Wanderwege, der hinterlassene Müll? Ist es ihr gedankenloses Konsumieren der Landschaft, die immer mehr durch die sogenannten Infrastrukturen verschandelt wird, die sie angeblich verlangen?
Letzten Ende ist all dies eine Folge unserer Idee von »Urlaub«, in dem wir uns etwas zurückholen wollen, was uns vorher genommen worden ist. Wir fühlen uns erholungsbedürftig, und der Urlaubsort soll dieses Bedürfnis stillen. Damit sind wir wieder bei der prägnanten Aussage von Rupert Sheldrake, dass Touristen etwas vom besuchten Ort für sich mitnehmen wollen, während Pilger mit der Absicht kommen, ihm etwas zu bringen. Laut ihm muss sich der Tourismus in Pilgerschaft verwandeln, wenn wir die Heiligkeit der Erde wiederentdecken und dadurch unsere Beziehung mit ihr wieder in Ordnung bringen wollen. Wir und sie würden uns tatsächlich erholen, wenn wir als neue Pilger unterwegs wären!
Doch kommen wir nun zu dem, was kennzeichnend für neue Pilger ist:

* Sie sind auf der Suche nach dem Heiligen in der Landschaft und begegnen ihr als Gemeinschaft von lebendigen und beseelten Wesen, die sich gegenseitig bewusst wahrnehmen.
* Sie bringen Gaben zu heiligen Orten, die von Menschen mitgestaltet werden und tragen mit ihrem Besuch zu deren Schönheit bei. Materielle Gaben gehören unbedingt dazu, doch auch Zeremonie. Unter Zeremonie – auch in ihrer einfachsten Form – verstehe ich, der sichtbaren und unsichtbaren Welt über Gesang, Worte, Gesten und konzentrierter Imagination feierlich mitzuteilen, dass wir zu einer harmonischen Ordnung in Schönheit beitragen wollen.
* Es ist ihre Absicht, in einen wechselseitigen Austausch mit unseren nichtmenschlichen Mitwesen zu treten, der beide Seiten bereichert. Sie betonen den Akt des Gebens, um auszugleichen, dass wir viel zu lange immer nur von der lebendigen Erde genommen haben.
* Sie sind rücksichtsvoll und leise unterwegs, denn sie verstehen sich als Teil der Landschaft und wollen sich in sie einfügen. Ablenkende Alltagsgespräche sind daher für sie so überflüssig wie elektronische Geräte und Internetverbindung. Sich mit Mitpilgern über das Erfahrene auszutauschen und heilige Orte gemeinsam zu ehren, sorgt hingegen für tief berührende zwischenmenschliche Begegnungen.
* Neue Pilger brauchen keinen übertriebenen Luxus und gehen so viel wie möglich zu Fuß. Dass sie wenig Müll produzieren und ihn nicht in der Natur hinterlassen, versteht sich durch ihre Art des Unterwegsseins von selbst.
Es ist offensichtlich, dass diese Art zu pilgern ein bedeutsames Signal für eine Neuorientierung in unserer Kultur setzen können. Wenn wir uns vorstellen, dass die Reiselust der Menschen, gepaart mit einer erweiterten Weltsicht, eine Pilgerbewegung hervorbringen könnte, die den herkömmlichen Tourismus uninteressant werden ließe, dann wird uns erst bewusst, welche gesellschaftliche Veränderung das bedeuten würde.
Ihr selbst könnt unter den Vorreitern dafür sein! Die nächste Gelegenheit sind die Wayna Fanes-Pilgertage vom 1.-3. Oktober, zu denen ich euch herzlich einlade.
Mit Munay*,
Waltraud Hönes
(Gründerin der Wayna Fanes- Tradition)
 
*Munay (Quechua): Bedingungslose Liebe, eigentlich: Liebender Wille

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Aufbruch in eine neue Traumzeit

Das neue Pilgern, wie Waltraud Hönes es seit vielen Jahren praktiziert und
in diesem Buch beschreibt, ist ein Gewahrsein der lebendigen Erde und ein Darbringen. Hier geht es nicht zuerst um unser Wohlbefinden, sondern um eine Hinwendung zur natürlichen Welt und eine Umkehr in unserer Haltung:
Die Landschaft ist nicht länger bloß dazu da, unsere Seele zu nähren; nein,
wir sind es, die durch Zuwendung und Hingabe der Erde etwas geben und so eine lebendige Beziehung mit ihr eingehen, in der Nehmen und Geben ausgeglichen sind.


Waltraud Hönes
ISBN: 978-3-89060-812-9
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