Subject: Die wahren Opfer? Von Schweiger bis Mockridge.

Halbwertszeit Machtmissbrauch

Liebe Freund*innen,


wir sind sauer. Richtig sauer. Habt ihr auch das Interview im Stern von letzter Woche über Luke Mockridge gesehen? Kaum zu übersehen: Das Interview fand sich mit dem nachdenklich dreinblickenden Comedian auf dem Titel wieder.1 Oder seid auch ihr über das Interview mit Til Schweiger im Podcast von »Hotel Matze« Ende März gestolpert?2 Über 3,5 Stunden darf der Schauspieler und Regisseur hier über sich plaudern. Gerade von dem Podcaster Matze Hielscher, der mit seiner krassen Reichweite auch eine große Verantwortung hat, hätten wir erwartet, einmal mehr kritisch zu hinterfragen, wem er eine Bühne geben will – und wem nicht.


Medien zeichnen uns immer wieder dieses unfassbar traurige Bild: Vergewaltigung sells. Körperlicher Übergriff sells. Machtmissbrauch sells. Sorry für die drastische Formulierung, aber das müssen wir mal so bitter festhalten.

Ihr erinnert euch wahrscheinlich ans Jahr 2021, als die bereits zwei Jahre zuvor formulierten Vorwürfe an Luke Mockridge durch dessen Ex Partnerin Ines Anioli die Schlagzeilen beherrschten. Es ging um versuchte Vergewaltigung, Körperverletzung und sexuellen Übergriff. Daraufhin distanzierten sich viele, Mockridge zog sich vorübergehend zurück. Und nun, drei Jahre später, scheint von einer kritischen Distanz nichts mehr übrig zu sein. Schlimm genug, einem vermeintlichen Täter überhaupt eine Bühne zu geben. Relativierend sei erwähnt, dass der Stern selbst reflektierte Worte vorab fand. Nur mit welchem Ergebnis? Das Interview liest sich auch noch wie der Versuch einer Rehabilitierung. Luke Mockridge bagatellisiert sein Verhalten als »Aufreisser«, beschreibt es verharmlosend als »spätpubertär«, als »uncool«. Liest man weiter, fühlt es sich immer mehr so an: Das eigentliche Opfer sei er selbst. Opfer seiner Ex Freundin Ines Anioli und Opfer der anderen Frauen, die über Grenzübertretungen berichtet haben3. Und Opfer der (sozialen) Medien. Er spricht von »einem Säureangriff auf mein Image«. Echt jetzt? Respektloser könnte der Vergleich nicht sein! Ausgerechnet eine Straftat, von der besonders häufig Frauen betroffen sind, soll als Bild dafür herhalten, wie er sich behandelt fühlte? Sollen wir jetzt allen Ernstes Mitleid mit vermeintlichen Tätern haben? Wo bleibt die Empathie für die mutmaßlichen Opfer?


Selbiges gilt für Til Schweiger. Nach dem Dreh von »Manta, Manta – zwoter Teil« wurde durch eine Spiegel-Recherche im April ‘23 erstmals Trunkenheit und Gewalt am Set publik.4 Ihr erinnert euch auch daran bestimmt. »Ich habe noch nie meine Macht missbraucht«, behauptete Til Schweiger schon Ende ‘23.5 Nun, ein halbes Jahr später im »Hotel Matze« wieder. Und räumt doch gleichzeitig die Ohrfeige gegenüber seinem Mitarbeiter ein. Wie denn jetzt!? Klar ist: Wir reden hier nicht von einer Ohrfeige an einem Set. Wir reden von wiederkehrendem Machtmissbrauch, der erst dann zu einem Ende kommt, wenn die oder der Machtmissbrauchende sein Verhalten wirklich ändert. Einsicht wäre da ein erster Schritt.

Aber zurück zu unserem Punkt, der Berichterstattung: Auf ihrer Website verspricht »Mit Vergnügen« über »Hotel Matze«: »In seinem Interview-Podcast trifft sich Matze mit schlauen, smarten und spannenden Menschen und versucht mehr über sie zu erfahren.«6 Til Schweiger? Keines von diesen Adjektiven kriegen wir mit einem Til Schweiger, dessen Fehlverhalten am Set seit Jahren ein offenes Geheimnis sein soll7, zusammen. Matze Hielscher selbst wurde immer wieder als »einfühlsamer Interviewer« gelobt. Einfühlsam ist er definitiv – in seinem Blick auf Til Schweiger. So dürfen wir in der Beschreibung der Podcast-Folge lesen: »Tils Filme haben Millionen von Menschen gesehen – und trotzdem fühlt er sich in der Branche als Außenseiter.« Aha. Woran liegt’s?


Gibt es eine Halbwertszeit für den Bann von mutmaßlichen Tätern sexueller Gewalt? Für die mediale Verurteilung von Prominenten, die ihre Macht missbrauchen? Wenn ein paar Jahre ins Land gegangen sind, gilt wohl: Schwamm drüber. War doch auch so ein guter Comedian, Schauspieler, Musiker, Regisseur, whatever.


Wir sind große Fans der Unschuldsvermutung. Sichert sie doch die saubere Aufklärung von Verdachtsfällen. Aber bitte doch auch für die Betroffenen, die im Übrigen eidesstattlich aussagen, dass eine Vergewaltigung, ein Übergriff oder Missbrauch stattgefunden hat?! Wie kann es sein, dass immer, immer, immer wieder mutmaßlichen Tätern eine Bühne geboten wird! Im Stern findet sich trotz Ankündigung, beide Perspektiven einzubeziehen, keine Darstellung von Ines Anioli?! Geht nicht, Leute. Auch, wenn ein Verfahren eingestellt wurde – was ja auch nichts über die Schuldfähigkeit aussagt: Straftaten wie sexualisierte Gewalt, die im privaten Raum stattfinden, haben meist eine schlechte Beweislage. Es steht dann Aussage gegen Aussage. Anioli gegen Mockridge. Und nun? Die Vorwürfe sind ja aber noch da, stehen noch immer im Raum. Allein das Fehlen eines Urteils sollte doch mindestens zu einem sensiblen Umgang mit mutmaßlichen Opfern führen?! Besser noch: Einer Bühne für ihre Darstellung. Was stattdessen bleibt, ist das mehr oder weniger subtile mediale Verschieben der Verantwortung in Richtung (mutmaßlicher) Opfer und die Bühne für die (mutmaßlichen) Täter. Für Auflagen, für Anzeigenkunden, für Klicks.


Das ist doch absehbar, meint ihr? Da habt ihr recht. Aber wenn wir nicht immer wieder festhalten, wie problematisch das ist, ändern wir auch nichts.


Sehr nicht geehrter Stern, Matze Hielscher und alle anderen Medienschaffende: Könnt ihr diesen Kreislauf aus Empörung und Rehabilitierung nicht endlich mal durchbrechen und euch konsequent mit Opfern solidarisieren? Worauf wartet ihr noch? Was muss noch alles passieren?


Wir brauchen Redakteur*innen bei Stern, Hotel Matze & Co., die sagen: »Leute, das können wir nicht machen, lasst uns stattdessen xy einladen, die oder der sich seit Ewigkeiten die Finger zu Sexismus in der Medienbranche wund schreibt …« Wir hätten da auch gleich ein paar Vorschläge: Nora Gantenbrink und Maike Backhaus zum Beispiel, die seit Jahren zu #MeToo recherchieren und schreiben. Oder Asha Hedayati. Oder Initiativen wie Music MeToo.


Denn egal ob Mockridge oder Schweiger – Machtmissbrauch, Sexismus und übergriffiges Verhalten dürfen keine Plattform haben, dürfen weder entschuldigt noch bagatellisiert werden. Den Betroffenen gilt es Raum zu geben! Zuzuhören, Wertschätzung entgegenzubringen und damit Mut zu machen! Wie Ines Anioli auf das Interview von Mockridge reagiert hat? Mut machend: »Hätte ich alles nochmal genauso getan? Ja, vielleicht nicht genauso, vielleicht auf 'ne andere Art und Weise, aber ich hätt’s getan, weil es einfach wichtig ist.«8


Kämpferische Grüße an euch alle, wie schön, dass ihr da seid!

Euer PINKSTINKS Team


PS: Wir brauchen als Gesellschaft viel breitere Aufklärung zu Machtmissbrauch, Sexismus und übergriffigem Verhalten. Auf allen Ebenen, in allen Bereichen. Als absoluten Standard. Und seid euch sicher: Wir hören nicht auf, bis das nicht erreicht ist. Bitte unterstützt uns dabei, denn so, wie es ist, kann es nicht bleiben.


PPS: Ihr vermisst unsere Gender-Tipps? Unsere Magazin-Texte? Das gibt’s alles wieder im nächsten Newsletter.


Quellen:

1 - stern.de »Interview Luke Mockridge: Ich war ein Arschloch, und das tut mir leid« Für Titel siehe »Stern Online-Shop«

2 - Hotel Matze »Til Schweiger über Mut, Machtmissbrauch und seine Karriere«

3 - spiegel.de »Die Akte Mockridge«

4 - spiegel.de »Sie nennen ihn den “Imperator”«

5 - nzz.ch »”Ich habe noch nie meine Macht missbraucht”, sagt Til Schweiger. Bei ihm am Set “strahlen alle”«

6 - Mitvergnuegen.com »Hotel Matze«

7 - ndr.de »Vorwürfe gegen Til Schweiger: So reagiert Nora Tschirner«

8 - focus.de »Luke Mockridges Ex-Partnerin Ines Anioli reagiert auf sein “Stern”-Interview«

KURZ VERLINKT

»Wer von einem Säureangriff spricht, hat nichts verstanden«. Danke, Anne Burgmer. Den Kommentar zum Interview findet ihr beim »Kölner Stadtanzeiger«.


Die Zahlen zur Gewalt in Partner*innenschaft sind jedes Jahr wieder erschreckend, die Opfer zu 80% weiblich. In der Folge »Gewalt in Beziehungen – Darum gibt es kaum Anzeigen« aus dem Podcast »Eine Stunde Liebe – Deutschlandfunk Nova« widmen sich Nova-Reporterin Lou Zucker und Asha Hedayati eine Stunde lang Anzeigen Quoten, Strafrecht und Betroffenen sexualisierter Gewalt.

Wer selbst Gewalt erfahren musste oder Freund*innen bei der Bewältigung unterstützt, findet Hilfe und Beratung bei Frauennotrufen und Frauenberatungsstellen in der Nähe.


Was können Täter tun, um ihr Verhalten in den Griff zu bekommen? Wer gar nicht erst zum Täter werden will, aber Angst hat, gewalttätig zu werden, für den bietet die Behandlungsinitiative Opferschutz die bundesweite, kostenfreie Hotline für »Tatgeneigte« unter 0800/7022240 an.


Gewaltausübende Menschen finden Hilfe über die Bundesarbeitsgemeinschaft »Täterarbeit Häusliche Gewalt e.V.« Hier sind Beratungsstellen für Gespräche und Trainings zu finden.

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