Liebe selbstständige Frau und solche, die es werden will,
heute ist der 27. Todestag meiner Mutter. Meinen 30. Geburtstag habe ich schon ohne sie gefeiert, denn ich war gerade mal 29 Jahre jung, als sie an Krebs starb.
In den Phasen, in denen sie nicht betrunken war, war unser Verhältnis zueinander wunderbar. Sie war Alkoholikerin und so gab es von diesen Phasen nicht allzu viele. Die meiste Zeit war ich entweder in Sorge um sie oder wütend auf sie.
Wenn ich heute an meine Mutter denke, bin ich vor allem voller Traurigkeit und Wut, weil wir in dieser Welt Müttern nicht den gebührenden Platz geben. Denn hätte meine Mutter Anerkennung dafür erfahren, wie sie war, wäre sicher vieles anders verlaufen.
Meine Mutter war eine Rebellin. Eine Amazone gegen die Kirche, mit der (und ihrer Scheinheiligkeit) sie sich immer wieder anlegte. Das hat ihr wenig Verständnis in ihrem erzkatholischen Umfeld eingebracht.
Sie war außerdem eine Fürsprecherin für Schwache, vor allem für Tiere. Sie hat sich im Tierschutz engagiert, drogenabhängige Kids bei sich aufgenommen oder gestrandete Menschen bei uns zu Hause durchgefüttert. Niemand hat sie dafür wertgeschätzt. Im Gegenteil: Freundinnen haben sich abgewendet.
Zudem war sie in ihrem Herzen Künstlerin, ohne dass sie diese Gabe je tief ausleben konnte, denn sie „musste ja Geld verdienen“, wie ihr Umfeld forderte. So wurde sie Beamtin.
Nie wurde ihr empathisches Wesen gewürdigt. Nie bekam sie Anerkennung für ihre Feinfühligkeit, die sie selbst kaum aushalten konnte, weshalb sie all ihr Spürig-Sein im Alkohol ertränkte. Sie wurde als hysterisch, zu sensibel, ja sogar als nicht lebensfähig beschimpft.
Letztendlich hat sich das Ungelebte in ihr und ihr Mitfühlen mit Mensch und Tier und ihr Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeiten in der Welt in Tumoren Ausdruck verschafft und der Krebs hat sie zerfressen.
Viele Jahre lebte ich mit der Angst, dass der nächste Anruf wieder einmal von ihr käme und sie betrunken irgendwo herumhing. Später war es dann die Angst vor der Nachricht ihres Todes. Ihr Tod war letztendlich für mich auch eine Form von Befreiung. Der Druck und die Sorge waren weg. Ich war frei.
Doch es kann nicht sein, dass wir Töchter erst dann Freiheit spüren, wenn unsere Mütter gestorben sind!