4-Tage-Woche – ist der Lockruf weniger Arbeit eine tragfähige Lösung?
Die 4-Tage-Woche ist in aller Munde. In Großbritannien haben sich 56 von 61 Unternehmen nach einem halben Jahr Modellversuch dazu entschieden, die 4-Tage-Woche fortzusetzen – bei vollem Lohnausgleich. Die Mitarbeitenden seien ausgeglichener, gesünder und genauso produktiv, heißt es von unseren britischen Nachbarn. Auch in anderen Ländern wie Spanien, Portugal, Irland und Australien gibt es solche Pilotprojekte, in Island arbeiten mittlerweile rund 90 Prozent der Arbeitnehmenden reduziert. Laut aktuellen Umfragen sprechen sich hierzulande mehr als Dreiviertel aller Berufstätigen für eine 4-Tage-Woche aus. Die Diskussion führt nun zum Modellversuch: Mehr als 50 Unternehmen wollen, dass ihre Mitarbeitenden 100 Prozent ihrer Aufgaben in 80 Prozent der Zeit erledigen.
Als Speaker, die in vielen Unternehmen auftritt, Executive Coach und Senatorin der Deutschen Wirtschaft mahne ich an, das Vorhaben einer 4-Tage-Woche differenziert zu betrachten. „Alle arbeiten weniger, dann geht es allen besser“, ist nicht nur eine Idealisierung, sondern schlichtweg falsch.
Die Mähr von der Produktivität
Wer eine 40-Stunden-Woche in vier Tagen absolvieren muss, arbeitet zehn Stunden am Tag plus Mittagspause. Schon jetzt können sich viele Menschen nicht mehr gut konzentrieren – wer dann zehn Stunden Arbeit am Tag abliefern muss, wird weniger leistungsfähig sein. Das gilt insbesondere für jene unter uns, die vorwiegend aus dem Homeoffice virtuell mit anderen zusammenarbeiten. Denn die Produktivität von Mitarbeitenden lässt im Homeoffice meist nach, so höre ich es von vielen Unternehmern. Online-Meetings kosten mehr Konzentration als Präsenztreffen. Wir lassen uns ablenken vom Hintergrund der Meetingteilnehmenden, werden vom Haustier, Partner oder Postboten, der an der Tür klingelt, in unserer Aufmerksamkeit unterbrochen. Es ist zudem verlockend, sich zu Hause zwischendurch um den Haushalt zu kümmern, Einkäufe zu erledigen oder Sport zu machen. Doch wer so agiert, verlängert seinen Arbeitstag. Wenn sich nun die tägliche Pflichtstundenzahl erhöht, und nachmittags noch die Kinder hinzustoßen, wird es für Mitarbeitende umso herausfordernder, im Homeoffice effektiv und produktiv zu bleiben.
Die Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort
Wir stehen am Beginn einer Rezession. Die Industrie leidet bereits jetzt unter gestiegenen Energiekosten und hohen Lohnkosten. Die Forderung nach einer 4-Tage-Woche setzt Unternehmer unter Druck – der Balanceakt zwischen der Attraktivität als Arbeitgeber und Wirtschaftlichkeit ist eine große Herausforderung. Zunehmend wandern Unternehmen ins Ausland ab oder planen die Verlagerung ihres Standorts. Die 4-Tage-Woche kann zu einer weiteren Schwächung des Wirtschaftsstandorts Deutschland führen. Innovationen und Gründungen gehen bereits zurück, wir sind vom Land der Machenden zum Land der Diskutierenden mutiert. Leistung scheint kein Leitgedanke mehr zu sein, sondern eher ein notwendiges Übel. Die Folgen solcher Haltungen und daraus resultierender Forderungen ist vielen noch nicht klar.
Mythos versus Realität
Vor allem die Generation Z wolle sich nicht mehr so zu Tode schuften wie ihre Eltern, so der Tenor in der Diskussion. Für mich ist das eine unzulässige Verallgemeinerung. Die älteren Menschen in meinem Umfeld haben sich nicht zu Tode gearbeitet, sondern erfreuen sich eines schönen Lebensabends. Ihre Art und Weise des Arbeitens als Argument heranzuziehen, um die eigene Work-Life-Balance zu begründen, trägt nicht.
Und bei allem Verständnis für den Wunsch nach einer ausgewogenen Work-Life-Balance bleibt eine Frage in der Diskussion häufig ungestellt: Wie ist es um die Rente von Menschen bestellt, die ihr Leben lang nur in Teilzeit gearbeitet und entsprechend geringere Rentenbeiträge gezahlt haben, bei einer demographischen Entwicklung, die immer mehr Menschen länger leben und ausreichend Nachwuchs vermissen lässt? Was bedeutet das für den Lebensstandard im Alter?