„Ich bin nicht verfügbar“ ist ein vollständiger Satz.
Letzte Woche fragte mich jemand, ob ich bei einer Sache helfen könnte, und ich sagte nein. Das war’s. Ich antwortete nur: „Dafür habe ich keine Zeit.“ Ich erklärte weder meine Arbeitsbelastung, noch legte ich meinen Zeitplan offen, entschuldigte mich oder bot an, jemand anderen zu finden. Ich sagte einfach nein.
Danach kämpfte ich mit einem schlechten Gewissen, mit Schuldgefühlen, Angst vor Ablehnung und dem Drang, mich zu erklären. Aber ich widerstand und hielt das Unbehagen aus.
Früher sagte ich oft Ja. Ich half bei Märkten mit, ging zu Veranstaltungen und Vernissagen, die mich nicht interessierten, und tat anderen einen Gefallen. Konsequenz – ich war oft erschöpft, fühlte mich ausgelaugt. Manchmal sagte ich Ja, weil ich mich über meine Hilfsbereitschaft definierte: „Ich bin jemand, auf den man sich verlassen kann.“ Ich redete mir ein, ich sei zuverlässig, höflich und freundlich, aber in Wirklichkeit wollte ich einfach niemanden enttäuschen.
Jahrelang stimmte ich Dingen zu, die ich nicht tun wollte, weil Gründe wie „Ich bin müde“ oder „Ich brauche Zeit für mich“ nicht akzeptabel schienen. Nur Krankheit, meine Arbeit, bereits geplante Termine oder Notfälle wurden als triftige Gründe angesehen; alles andere fühlte sich egoistisch an.
Hier sind einige der häufigsten Gründe, warum Menschen Ja sagen, obwohl sie Nein meinen:
1. Das Bedürfnis nach sozialer Akzeptanz
Wir sind soziale Wesen. In Gruppen zu gehören war evolutionär überlebenswichtig. Ein Nein kann sich daher (unbewusst) wie ein Risiko anfühlen: Wir könnten Ablehnung, Missbilligung oder Enttäuschung auslösen.
→ Also sagen wir Ja, um „gemocht“ zu bleiben.
2. Die Angst, egoistisch zu wirken
Viele verwechseln Selbstfürsorge mit Egoismus.
Ein Nein wird oft als „Ich will dir nicht helfen“ verstanden – obwohl es eigentlich „Ich kann im Moment nicht“ bedeutet. Das schlechte Gewissen entsteht dann aus dem Wunsch, ein guter, hilfsbereiter Mensch zu sein.
3. Fehlende Übung im Setzen von Grenzen
Viele von uns haben nie wirklich gelernt, Grenzen zu ziehen – weder emotional noch zeitlich.
Ein Nein fühlt sich daher unnatürlich an, fast wie ein Bruch der „sozialen Spielregeln“. Erst durch bewusste Übung erkennt man, dass ein klares Nein oft sogar respektvoller ist als ein halbherziges Ja.
4. Empathie und Verantwortungsgefühl
Wenn jemand um Hilfe bittet, spüren wir den Druck seiner Erwartung.
Menschen mit hoher Empathie nehmen das besonders stark wahr – sie „fühlen“ die Enttäuschung des anderen voraus und versuchen, sie zu vermeiden, indem sie Ja sagen.
Der Perspektivwechsel
Zu lernen, ohne Erklärung „Ich bin nicht verfügbar“ zu sagen, war eine der schwierigsten Lektionen meines Lebens. „Ich bin nicht verfügbar“ ist nicht unhöflich. Im Gegenteil, es ist einfach ehrlich. Es braucht keine Zustimmung, es ist die Wahrheit. Es ist manchmal immer noch unangenehm, aber dieses Unbehagen ist leichter zu ertragen als Wut auf mich selbst. Jetzt habe ich Sonntage, die nur mir gehören.
Beste Grüße
Ihre Antje Heimsoeth
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