Liebe Freund*innen,
kurz und knapp die Lage: Deutschland hat bei hoher Wahlbeteiligung einen neuen Bundestag gewählt und es läuft wohl auf eine Koalition zwischen CDU/CSU und der SPD hinaus. Die ist nur deshalb möglich, weil die FDP deutlich und das BSW nur knapp an der 5%-Hürde gescheitert sind. Mit über 20% sitzt eine faschistische Partei im Bundestag. Bis auf wenige Ausnahmen ist das Land nach Direktmandaten entlang der ehemaligen Mauer in Schwarz und Blau geteilt.1 Die SPD hat ihr schlechtestes Ergebnis jemals eingefahren. Die Grünen sind zwar noch da, mussten aber Federn lassen. Und die Linke hat sich nicht nur fast verdoppelt und sechs Direktmandate geholt, sondern hat im Bundesland Berlin auch faktisch die Bundestagswahl gewonnen.2
Was bedeutet das für die nächsten 4 Jahre?
Das bedeutet vor allem: Friedrich Merz. Friedrich der Kleine. Merz wollte seine Partei eigentlich in die Nähe der 40%-Marke führen und die AfD halbieren. Nichts davon ist passiert. Stattdessen hat er im Wahlkampf mit seinem Spezl Söder die Grünen zum politischen Feind erklärt, während er im Bundestag seine uninformierte, rassistische Migrationspolitik von der AfD absegnen ließ. Auf den letzten Wahlkampfmetern hat er sich dann auch nicht entblödet, angesichts der Demos gegen rechts von »linken und grünen Spinnern« zu faseln, die angeblich bei der Ermordung seines Parteifreundes Walter Lübcke 2019 auffallend leise gewesen wären.3 Nichts davon ist wahr. Die »linken und grünen Spinner« waren die, die nach der Ermordung Lübckes unter der Führung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zu Tausenden auf die Straße gegangen sind.4 Die Redaktionen der CDU hingegen waren damals, bestenfalls, verhalten.5
Merz nennt die israelische Flagge »Judenfahne«, was ansonsten nur Leute tun, die noch weiter rechts stehen als er und gerne den Anschein erwecken, Israel wäre kein pluralistischer Staat, in dem jede*r vierte Einwohner*in arabischstämmig ist.6 Er fühlt sich von antifaschistischem Protest persönlich beleidigt, will der Gemeinnützigkeit von politisch unliebsamen Vereinen wie PINKSTINKS an den Kragen und die Wirtschaft von den »klimapolitischen Fesseln« befreien.7
Auch außenpolitisch fehlt dem »bekennenden Transatlantiker« Merz die Weitsicht, die notwendigen Konsequenzen daraus zu ziehen, dass »unsere amerikanischen Freunde« dem Feind Europas die Ukraine als Beschwichtigungsgeste zum Fraß vorwerfen wollen. Mit anderen Worten: Die dunklen Seiten der 90er sind zurück und sie haben uns Friedrich Merz mitgebracht.
Was bleibt von den Ampelparteien?
Nicht viel. Die SPD liegt in Trümmern. Sie hat mit Olaf Scholz auf den falschen Mann gesetzt und – statt sich auf ihre Wurzeln zu besinnen und durch soziale Politik hervorzutun – darauf gehofft, sich ausgerechnet den nach rechts abdriftenden Teilen der politischen Mitte andienen zu können. Die FDP gehört zu Recht nicht mehr dem Bundestag an. Klientelpolitik für Reiche und verantwortungsloses Koalitionsverhalten haben nichts mit Liberalismus zu tun. Dass dann auch noch der Chef der FDP in Schwerin zur Wahl der AfD »gegen Linke« aufruft8 und und Christian Lindner an seinen letzten Wahlkampftagen das einzige Ziel zu haben schien, eine Regierungsbeteiligung der Grünen zu verhindern, ist dann nur noch die Sahne auf der Torte mit der Aufschrift »Hat sich das wirklich gelohnt?!«.
Und die Grünen müssen aufpassen, nicht den Weg der SPD zu beschreiten. Es reicht nicht, zartgrüne Klimapolitik zu machen und gesellschaftliche Transformationsprozesse nur in Kleinstschritten anzugehen. Gebotene Kompromissbereitschaft muss von politischer Beliebigkeit unterscheidbar bleiben.
Was macht die Opposition?
Die AfD wird Druck machen. Immer wieder die »konservative Mehrheitsoption« anbieten und bei jeder politisch geeignet scheinenden Gewalttat aufschreien, wie lange Merz denn noch warten will, um endlich eine rechte Entscheidung zu treffen. Sie wird mit Blick auf die nächste Bundestagswahl die CDU zwingen, im Sinne der AfD Politik zu machen und gleichzeitig immer noch höhere, noch faschistischere Maximalforderungen stellen.
Aber viel wichtiger: Eine gestärkte Linke wird dagegenhalten. Mit mittlerweile klar definierter antifaschistischer Kapitalismuskritik und ohne die Versuchung durch einen linken Nationalismus à la Sahra Wagenknecht. Für die Grünen wird es darauf ankommen, der Minimalaufgabe »Mehrheitsbeschaffung mit ein bisschen Klimapolitik« sichtbar und machtvoll zu entwachsen und sich ihrer thematischen Stärke zu besinnen. Beide Parteien haben schon am Wahlabend gezeigt, dass sie ihre Aufgabe in der Opposition ernst nehmen – Opposition gegen die AfD und gegen die künftige Regierung. Das macht Hoffnung, dass feministische Anliegen und Themen in den nächsten vier Jahren dazugehören werden – trotz Friedrich Merz.
Und jetzt zu den positiven Dingen außerhalb des Bundestags
Die Mehrheit der Deutschen will keine Regierungsbeteiligung der AfD.9
Die Kirchen bleiben in Sachen Menschenrecht und Migration stabil.10
Die Zivilgesellschaft steht weiter auf gegen Verrohung, Rechtsruck und Menschenfeindlichkeit – egal, was Friedrich Merz davon hält und wie er uns beschimpft.
Und wir von PINKSTINKS sagen: jetzt erst recht. Wir wissen, dass es hart ist. Dass es angesichts der vielen Ungerechtigkeiten schwer ist, die Hoffnung zu behalten. Aber wir sind hier mit und für euch. Mit euch an unserer Seite geben wir nicht auf, wir sind eine große Bande! Und kämpfen weiter für eine friedlichere, gerechtere und feministische Welt.