Subject: Hat die SPD ein Frauenproblem?

*** Politikbeobachter*in ***

Politikbeobachter*in



Liebe Freund*innen,


auf dem Parteitag Ende vergangener Woche haben die SPD-Mitglieder Bärbel Bas mit großer Mehrheit zur Co-Vorsitzenden von Lars Klingbeil gewählt. Klingbeil hingegen wurde mit dem zweitschlechtesten innerparteilichen Ergebnis jemals knapp bestätigt.1 Und auch wenn Klingbeil das an politischen Umständen wie der ungeliebten Koalition mit der CDU, seinen vorgelegten Rüstungs- und Verteidigungshaushalt und seiner Haltung zum Angriffskrieg gegen die Ukraine festmacht2: Es geht um mehr. Nämlich darum, wie in der SPD mit Frauen umgegangen wird und wie Männer immer wieder die Verantwortung fürs Scheitern und für Fehlentscheidungen auf sie abwälzen. Höchste Zeit also, sich mal genauer anzuschauen, was da eigentlich los ist.


Hat die SPD ein Frauenproblem?


»Wenn wir gleiche Teilhabe für Frauen und Männer verwirklichen wollen, müssen wir alle Lebensbereiche umgestalten: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.«3 So steht es im Grundsatzprogramm, das die SPD 2007 beschlossen hat. Manch eine*r mag sich verwirrt die Augen reiben oder sich nur dunkel erinnern: Doch ja, die SPD, das war mal eine Partei mit beinharten feministischen Forderungen, die nicht nur von einem idealistischen Jugendverband getragen wurden. Im Februar 1919 ist es die SPD-Politikerin Marie Juchacz, die als erste Frau im deutschen Parlament das Wort ergreift, nachdem insbesondere auf Betreiben ihrer Partei 1918 das Frauenwahlrecht erstritten wurde.4 1988 führte die SPD nach jahrzehntelangen Kämpfen zwei Jahre nach den Grünen eine Frauenquote ein und Herta Däubler-Gmelin wurde zur ersten stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt.5 Immer wieder stellte die SPD Forderungen nach einer gleichberechtigteren, ja feministischeren Gesellschaft.

Und doch ist es dieselbe Partei, die die von ihr selbst geforderte Teilhabe nicht hinbekommt. Seit Jahrzehnten geht die Partei aufstrebende Genossinnen und Politikerinnen in der ersten Reihe zu häufig mit ausgesprochener Härte und Verächtlichmachung an. Die sich beim genauen Hinschauen als Sexismus pur entpuppen.

  • Bei Herta Däubler-Gmelin halten Beobachter*innen im Jahr 2000 fest: »Auffallend oft sind es Männer, die sich von ihr heruntergeputzt, geschulmeistert fühlen.«6

  • 2005 verhindert ein innerparteilicher Abweichler in mehreren Wahlgängen die Wiederwahl von Deutschlands erster Ministerpräsidentin Heide Simonis und vernichtet damit auch ihre politische Karriere.7

  • 2008 wurde die Wahl von Andrea Ypsilanti zur hessischen Ministerpräsidentin einer linkstolerierten rot-grünen Koalition unter der Führung eines Politikers verhindert, der »Leute gern aufs Dach schickt und ihnen dann die Leiter wegzieht«.8

  • Der nach 155 Jahren SPD-Geschichte ersten weiblichen Vorsitzenden Andrea Nahles wird so lange Härte, Unweiblichkeit und Geltungsdrang (Gruß an quasi alle männlichen Politiker an dieser Stelle) vorgeworfen, bis sie 2019 als Parteichefin und Fraktionsvorsitzende zurückgetreten wird, Verzeihung, zurücktritt.9

  • Und nun ist es also Saskia Esken, die plötzlich irgendwie allein das schlechte Wahlergebnis der SPD zu verantworten hat, während der Mitarchitekt dieser Katastrophe, Lars Klingbeil, sich als Macher und Retter der Partei inszenieren darf. Unter anderem gestützt durch Männer, die Esken öffentlich die Befähigung zur Ministerin abgesprochen haben.10


Wie sieht es an der Basis aus?


Aber nicht nur in den vorderen Rängen geht die SPD gegen ihre Frauen vor. 2013 tritt die Netzexpertin und feministische Aktivistin Yasmina Banaszczuk öffentlichkeitswirksam aus der Partei aus.11 Vorangegangen war eine Podiumsdiskussion, auf der der damalige Parteivorsitzende Sigmar Gabriel Banaszczuks Mitstreiterin Kathy Meßmer altväterlich Weltfremdheit unterstellte, weil sie die Partei digital neu aufstellen wollte. Das reichte. Einmal mehr hatte die SPD Frauen um ihre Expertise und Mitarbeit gebeten, nur um am Ende festzuhalten, dass das Ergebnis so interessant ja nun auch nicht sei und man(n) sich wichtigeren Aufgaben zuwenden müsse. Für den Affront, das so nicht länger hinzunehmen, mussten sich Banaszczuk, Meßmer und andere von der Presse unter anderem als »weltfremd« und »digitale Jammerlappen« bezeichnen lassen.12 Auf die naheliegende Frage, ob die SPD ein Macker-Problem habe, antworteten SPD-Frauen auch sechs Jahre später in allen Schattierungen von »Klar, was denn sonst?!«.13 

Der SPD fehlen an der Basis Frauen. Mit knapp über 33% ist man noch weit entfernt von einer tatsächlich gelebten Parität und hat sich entgegen beschönigender Aussagen in den vergangenen Jahren auch nicht signifikant verbessert.14 Zugleich treten immer mehr Menschen aus der Partei aus. Die Auswirkungen davon zeigen sich nicht unbedingt auf der bundespolitischen Bühne, sondern in Ortsverbänden und in der Lokalpolitik. Wer macht Wahlkampf, wer bringt Ideen ein, wer engagiert sich für eine Partei, in der Frauen zwar immer wieder freundlich zum Mitmachen eingeladen werden, am Ende aber doch zu oft um die Früchte ihrer Arbeit betrogen oder individuell für das Scheitern vieler verantwortlich gemacht werden? Antwort: zu wenige. In der Vergangenheit hat die SPD von ihrem Ruf und guten programmatischen Entscheidungen in Sachen Gleichberechtigung profitiert. Sie konnte damit Frauen begeistern, die Lust auf Politik hatten und an die Reformierbarkeit der Partei geglaubt haben. Aber der Lack ist ab und die üblichen Männernetzwerke präsent wie eh und je.


Wohin geht es für die SPD?


Der parteiinterne Sexismus in der SPD schmerzt. Häme, Härte und Misogynie verhindern und zerstören immer wieder politische Karrieren von Frauen. Er schmerzt vor allem deshalb, weil die Partei für mehr angetreten ist und mehr könnte. Stattdessen geht sie zu oft schäbig mit Frauen um, obwohl sie es besser weiß. Sie gesteht Frauen nicht die Hälfte der Macht zu, obwohl sie Frauen gerade mit dem Versprechen, sich in genau diese Zukunft auf den Weg zu machen, zur Parteimitgliedschaft bewegt hat. Gerade weil sich die SPD selbstbewusst als »die Frauenpartei«15 bezeichnet, kann und muss sie mehr liefern.

Es wird Zeit, dieses Versprechen einzulösen. Auch und gerade für die vielen Frauen, die unermüdlich daran arbeiten, die SPD zu einer feministischen Kraft für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu machen – zum Beispiel die Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokratischer Frauen (ASF). Vielleicht gelingt es ja unter der neuen Vorsitzenden Bärbel Bas, die genau weiß, dass du »als Frau auch noch diesem sexistischen Müll ausgesetzt bist« und Saskia Esken gegen den sexistischen Umgang mit ihr verteidigt hat.16 Bärbel Bas hat sich als Parlamentspräsidentin viel Respekt verdient und ist im Gegensatz zu ihrer Parteifreundin und SPD-Vorsitzenden-Vorgängerin Esken sehr gut vernetzt. Allerdings hat das Andrea Nahles als absolutes SPD-Urgewächs auch nicht viel geholfen. Also bleiben wir skeptisch und sind doch zugleich vorsichtig optimistisch. Denn mit einer besseren, transformierten SPD ließe sich gut Politik machen. Wie hieß es doch so schön im SPD-Grundsatzprogramm: »Wenn wir gleiche Teilhabe für Frauen und Männer verwirklichen wollen, müssen wir alle Lebensbereiche umgestalten: Wer die menschliche Gesellschaft will, muss die männliche überwinden.« Wir lassen das jetzt mal so stehen. Und bleiben für euch dran, klar!

Herzliche Grüße

von eurem PINKSTINKS-Politik-Team

Lesetipps zum Thema: Dieses Mal haben wir einen Text von der großartigen Autorin und Journalistin Alex Zykonov für euch, den auch einige Spitzenleuten in der SPD mal lesen sollten. Alex Zykonov hat für PINKSTINKS sexistische Bullshitsätze auseinandergenommen, die jede Frau und jede weiblich gelesene Person schon mal im Job gehört hat: »Frauen wollen doch keine Karriere machen« 


P.S.: Wir suche eine*n Art-Direktor*in! Wenn ihr eine geeignete Person kennt oder ihr selbst eure kreative Schöpfungskraft DIREKT in den Feminismus fließen lassen möchtet: Hier findet ihr unsere Stellenausschreibung. Wir freuen uns auf Bewerbungen von euch oder aus eurem Umfeld!

Quellen:

1: tagesschau.de: »Bas und Klingbeil zu SPD-Vorsitzenden gewählt« vom 27.06.2025 (besucht am 01.07.2025)

2: zdfheute.de: »Klingbeil: Habe ‘einen auf den Deckel gekriegt’« vom 29.06.2025 (besucht am 01.07.2025)

3: spd.de: »Hamburger Programm. Das Grundsatzprogramm der SPD« vom 28.07.2007 (besucht am 01.07.2025)

4: bundestag.de: »Erste Rede einer Frau im Reichstag am 19. Februar 1919« (besucht am 01.07.2025)

5: vorwaerts.de: »Wie die SPD zur Frauenquote kam – und wie sie das Land veränderte« vom 30.08.2018 (besucht am 01.07.2025)

6: spiegel.de: »Gegen den Rest der Welt« vom 26.11.2000 (besucht am 01.07.2025)

7 faz.net: »Simonis: Stegner war nicht der Abweichler« vom 13.04.2005 (besucht am 01.07.2025)

8: deutschlandfunk.de: »Der geplante Sturz der Andrea Ypsilanti« vom 17.08.2009 (besucht am 01.07.2025)

9: sueddeutsche.de: »Als Frau an der Spitze hatte Nahles es doppelt schwer« vom 03.06.2019 (besucht am 01.07.2025)

10: merkur.de: »SPD-Zoff: Angriff gegen Esken löst heftigen Gegenwind in Partei aus« vom 28.04.2025 (besucht am 01.07.2025)

11: zeit.de: »Warum ich aus der SPD ausgetreten bin« vom 04.09.2013 (besucht am 01.07.2025)

12: taz.de: »Digitale Jammerlappen« vom 08.11.2013 (besucht am 01.07.2025)

13: vice.com: »Wir haben SPD-Frauen gefragt, ob die Partei ein Macker-Problem hat« vom 06.06.2019 (besucht am 01.07.2025)

14: statista.com: »Anteil der Frauen an den Mitgliedern der politischen Parteien in Deutschland am 31. Dezember 2023« vom 26.06.2025 (besucht am 01.07.2025)

15: vorwaerts.de: »Warum die SPD die Frauenpartei ist« vom 06.03.2023 (besucht am 01.07.2025)

16: t-online.de: »Bas kritisiert Reden über angeblich faule Deutsche« vom 27.06.2025 (besucht am 01.07.2025)

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