| Liebe Freund*innen,
seit Kanzler Merz’ »Stadtbild«-Äußerung wird über seine Aussage und seine einige Tage später folgenden Erläuterungen diskutiert. Das, was Merz am 14.10. und in der Zeit danach gesagt hat, war zweifellos rassistisch, sexistisch und frauenfeindlich.1 Doch das wurde in den vergangenen Tagen zur Genüge aufgeschrieben und gesagt. Wir vom Politik-Team (Nils und Ulrike) hier bei PINKSTINKS haben uns stattdessen für einen anderen Weg entschieden, zur Debatte beizutragen: mit einem persönlichen Text von Nils, in dem es um ein Gefühl geht. | | Heute keine Nachrichten für mich. Auch kein Social Media. Schluss! Obwohl ich ein politisch interessierter Mensch bin und es Teil meines Jobs ist, Politik und Gesellschaft nicht nur zu beobachten, sondern auch zu kommentieren, nehme ich davon immer häufiger Abstand. Das liegt nicht nur an meiner grundsätzlichen Nachrichten-Ermüdung. Die Algorithmen feuern schneller und schneller Katastrophen in meinen Feed. Die Boulevardisierung der Presse, die im Minutentakt über jede noch so unwichtige Hampelei von Donald Trump berichtet, schreitet voran. Das macht alles furchtbar müde und auf eine graue, unproduktive Art unzufrieden. Aber das Problem geht tiefer. Seit einiger Zeit weiß ich nicht mehr, ob ich noch mit anderen Menschen reden will. Reden, diskutieren, streiten, verhandeln. Den meisten Leuten, die ich kenne, geht es genauso. Sie und ich stecken in einer Box mit der Aufschrift »Miteinander reden ist extrem wichtig und gleichzeitig vollkommen sinnlos« fest und kommen da einfach nicht raus. Wenn so etwas passiert, hilft in meinem Leben nur eins: drüber schreiben. Also versuche ich das jetzt. | Ich will nicht mehr reden! Wirklich, ich habe keine Lust mehr. Ich möchte keine Gespräche mehr mit Leuten führen, die »aus Versehen« rechte Parteien wählen. Die andere Menschen zur »Mutter aller Probleme« erklären, sie aus dem Stadtbild verbannen wollen und stolz darauf sind, wie bürgerlich und überhaupt nicht extrem ihre weißdeutschen Reinheitsfantasien sind.2 Ich habe kein Interesse am Austausch mit Leuten, die angeblich ganz vernünftig sind, aber jetzt, jetzt, nachdem »die Linken« dieses oder jenes gemacht haben, sich aber nun wirklich nicht mehr pauschal gegen Menschenverachtung stellen können. Der Literaturwissenschaftler Jonathan Franzen schrieb kürzlich, er habe die Nase voll von der Figur des »enttäuschten Linken«.3 Genau das. Mit der »Ich war mal links, aber dann stand ich zwei Stunden im Stau, weil sich Leute wegen Klima auf die Straße geklebt haben, und wähle jetzt sehr enttäuscht rechts«-Fraktion will ich nicht mehr reden. Ich hab’ auch keine Lust mehr auf eine neue Runde »Ist das jetzt rassistisch?« mit Leuten, die es nicht so gemeint haben wollen. Was gibt es mit »Jetzt hab dich nicht so, Süße«, »Das haben wir früher halt so gesagt« und »Uns hat es ja auch nicht geschadet« zu besprechen? Und wozu führen wir im Internet und anderswo diese Debatten-Attrappen? Warum tun wir ständig so, als befänden wir uns in einem offenen Meinungswettbewerb, anstatt zuzugeben, dass wir mit anderen Menschen aus unserer eigenen Blase eigentlich nur um die hottesten Takes und die meisten Klicks konkurrieren? Wenn alles gesagt ist, nur noch nicht von allen, dann ist es vielleicht besser, wenn ich nichts sage. | Ich will reden! Nicht drüber zu reden, ist auch keine Lösung. Ja, es ist zäh, anstrengend und viel zu oft unnütz und überflüssig. Aber Wortlosigkeit bringt uns nicht weiter. Wie sollen wir uns in stiller Abscheu als Gesellschaft wieder zusammenkriegen? Es kann nicht hilfreich sein, wenn ich in Feindschaft zu allen lebe, die meine Ansichten nicht teilen. Wenn ich so tue, als würde welche Faktenlage auch immer stets nur eine Überzeugung rechtfertigen – meine. Es kann auch nicht angehen, dass ich mich als maximalprivilegierter Typ von Diskursen verabschiede, in denen Marginalisierte um ihr Leben kämpfen. Einfach weil ich es mir leisten kann und mir herausnehme, nicht mehr mit Leuten streiten zu wollen, die anderen ihre Grundrechte absprechen. Dieser Rückzug ins Private funktioniert nur, weil für mich noch genug Wohlfühlprivilegien übrig sind, während anderen selbst das Notwendigste abgesprochen wird. Er funktioniert also für mich und mich allein. Und selbst das nur auf Zeit, weil irgendwann auch die fällig sind, die einfach nur nicht mitmachen wollen. Es heißt, dass es ein Dorf braucht, um ein Kind großzuziehen – aber niemand will das Dorf sein. Und wir brauchen eine offene, flexible, kompromissbereite Gesellschaft, damit alle frei und gleichberechtigt partizipieren können. Aber wer soll die erschaffen, wenn zu viele keine Lust mehr haben? | Was mache ich denn jetzt? Ich weiß es nicht. Feministisch macht beides Sinn. Wütend werden, zornig sein und sich nicht in nutzlosen Debatten verzetteln, die es nicht wert sind. So wie in dem Roman »Und alle so still« von Mareike Fallwickl, in dem Frauen beschließen, bei diesem ganzen patriarchalen Mist einfach nicht mehr mitzumachen und sich dem komplett zu verweigern.4 Aber eben auch aufmachen, sich verletzlich zeigen, ins Gespräch gehen und »die Säle der Gleichgesinnten verlassen«, wie Jagoda Marinić mit ihrem Konzept von »sanfter Radikalität« vorschlägt.5 Ich fürchte, ich werde einen Weg finden müssen, die Gleichzeitigkeit dieser Positionen in mir zu ertragen. Nie mehr auch nur ein Wort mit Leuten sprechen zu mögen, die ganz entspannt an Dingen rütteln wollen, die wir aus gutem Grund für unverrückbar, ja unantastbar erklärt haben. Und zugleich alle davon überzeugen zu wollen, dass es besser gehen kann und besser gehen muss. Die Stadtbild-Debatte für absolut überflüssig und extrem wichtig zu halten. Ich werde das von Situation zu Situation entscheiden müssen. Und zwar nicht mit dem Kopf, sondern mit dem Herzen. Und wie immer mit einer guten Portion Feminismus. | | | P.S.: Wir haben uns in den Politikbeobachter*in-Newslettern in diesem Jahr bereits damit auseinandergesetzt, dass das Thema Migration nichts mit Innerer Sicherheit zu tun hat, trotzdem seit Jahrzehnten von unterschiedlichen Parteien in diesen Zusammenhang gebracht und damit instrumentalisiert wird. Wenn ihr den Text noch einmal nachlesen wollt, hier findet ihr ihn: Newsletter vom 13. Februar 2025 »Warum bestimmt das Thema Migration den Wahlkampf?« | | | |
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