Liebe Freund*innen,
wir melden uns heute mit einer Wahlbeobachter*in-Ausgabe zu einem Thema, das mitten in Sondierungspapieren, Verhandlungen zu Sondervermögen und anstehenden Koalitionsgesprächen nicht untergehen darf: Mit 551 Fragen ist die CDU/CSU-Fraktion kurz vor der Wahl in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung gegen Nichtregierungsorganisationen vorgegangen, veröffentlicht wurde diese Anfrage am Tag nach der Wahl. Von OMAS GEGEN RECHTS, über CORRECTIV bis zu foodwatch soll NGOs die politische Neutralität abgesprochen werden, um Druck auf sie ausüben und so die Zivilgesellschaft auf Linie zu bringen. Die unausgesprochene Drohung hinter der Kleinen Anfrage: Wer zu viel Kritik übt, könnte die Einstufung als gemeinnützig verlieren, was negative Folgen für die Spendeneinnahmen und Förderungsmöglichkeiten hat.1
Was steckt hinter diesem Vorstoß?
Man könnte meinen: Friedrich Merz ist gekränkt. Persönlich und parteipolitisch. Nachdem er im Bundestag bei der Abstimmung über einen Unionsantrag zur Migration Ende Januar auf die AfD gesetzt hat, sind fast 1,5 Millionen Menschen2 auf die Straße gegangen. Auch vor die CDU-Parteizentrale und gegen Merz. Auch aufgerufen von OMAS GEGEN RECHTS und anderen Organisationen. Die Unionsparteien werten das als parteipolitische Attacke. Für Demokratie und gegen Rechtsextremismus dürfe man demonstrieren, sagte der Unionsfraktionsvize Mathias Middelberg, aber nicht gegen Merz und die CDU.3 Doch, darf man. Muss man sogar, finden wir. Man muss die Demokratie auch vor demokratischen Parteien schützen, wenn diese Parteien damit kokettieren, Brandmauern einzureißen und wenn diese Parteien gemeinsam mit Rechtsextremen Politik gegen marginalisierte Gruppen machen.
Was sagt das über das Demokratieverständnis der Union aus?
Zweifellos ist die CDU eine demokratische Partei und Friedrich Merz ein demokratischer Parteivorsitzender. Im Gegensatz zur AfD ist für die CDU Demokratie nicht bloß Mittel zum Zweck, um einer desinformierten, aufgehetzten Bevölkerung den Faschismus schmackhaft zu machen, indem die AfD eine Illusion von Stärke und Sicherheit verbreitet, die auf der Unterdrückung und Kontrolle von marginalisierten Menschen basiert.4
Allerdings scheint das Demokratieverständnis der CDU mangelhaft: Merz und weite Teile der CDU definieren Demokratie als Herrschaft der Mehrheit. Deswegen wollen sie gemeinsam mit der CSU wieder zurück zu einem »Deutschland wie früher«, einem Deutschland für »uns«.5
Demokratie bedeutet aber mehr: Den Schutz von Minderheiten unter der Herrschaft der Mehrheit. Das ist das Demokratieverständnis, für das die Nichtregierungsorganisationen einstehen, die mit der Kleinen Anfrage der CDU/CSU-Fraktion und den darin enthaltenen 551 Fragen zur »politischen Neutralität« angegangen werden. CDU und CSU scheinen nicht zu verstehen, dass das Einstehen für Minderheiten den Rahmen politischer Neutralität nicht sprengt, sondern dass der Schutz von Minderheiten ein essenzieller Bestandteil unserer Demokratie ist. Deswegen definieren sie diesen Schutz einfach als »links-grün« um und stempeln ihn damit als parteipolitisch, also nicht-neutral, ab.
Was treibt die Union dazu?
Derlei Anfragen ist man eher aus der sehr rechten Ecke gewohnt, als eine Methode, die die in Teilen gesichert rechtsextreme AfD nutzt, um mit vielen kleinen Nadelstichen die demokratische Grundordnung anzugreifen. Die AfD stellt schon seit Jahren im Bundestag und in Landtagen derartige Kleine Anfragen – zum Beispiel zu Vornamen von Straftäter*innen und zu unliebsamen Organisationen –, um die demokratischen Strukturen immer weiter auszuhöhlen. Nach dem Motto: Man wird ja wohl mal fragen dürfen.6
Die CSU stößt mittlerweile ins selbe Horn: Sie hat vor der Bundestagswahl angekündigt, gegen die »Finanzierung linker Vorfeldorganisationen durch Steuermittel« vorgehen zu wollen.7 Währenddessen raunt man in Springers Tageszeitung »Die Welt« ernsthaft über NGOs als »deutscher Deep State«8 (eine Formulierung im Charakter von Verschwörungserzählungen, die sich auch in der Kleinen Anfrage der Unionsfraktion wiederfindet) und freut sich darüber, dass als Reaktion auf die Anfrage »Grüne wie Linke und SPD aufschreien«9.
Die Union scheint sich in der Defensive zu fühlen. Allerdings interessanterweise nicht durch die AfD. Man kennt in den Unionsparteien das Gefühl schon länger, für seine weltanschaulichen Defizite zurechtgewiesen zu werden. Seit Jahren ermahnen die christlichen Kirchen die Parteien mit dem C im Namen, sich mit Blick auf geflüchtete Menschen und Migration, nun ja, christlicher zu verhalten. Aber anstatt sich zu fragen, warum man ihrer Partei vorwirft, mit dem christlichen Menschenbild zu brechen10, brechen bekannte Parteimitglieder mit den Kirchen11. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder findet es frech, von Kirchen daran erinnert zu werden, dass schon im Alten Testament steht, man solle Fremde wie Einheimische behandeln und sie lieben wie sich selbst.12 Und in der »Welt« glaubt man zu wissen, dass die »Kirchen in Deutschland sich vom christlichen Glauben verabschiedet haben und sich in ein rot-rot-grünes Bündnis für Umverteilung, Grenzöffnung und LGBTQ+-Aktivismus verwandeln«.13 Nee, is klar.
Wie reagiert die Zivilgesellschaft?
Die Kleine Anfrage stößt auf breite Kritik, nicht nur von NGOs selbst.14 Von mehr als 1700 Wissenschaftler*innen zum Beispiel, die in einem offenen Brief festhalten, dass das Vertrauen in die Demokratie durch eine solche Vorgehensweise geschwächt und die Gesellschaft weiter gespalten wird.15 Oder auch vom Bundesverband Deutscher Stiftungen, der anmerkt, dass »die Entpolitisierung der Zivilgesellschaft mit einer Entkernung des demokratischen Rechtsstaates einhergeht«.16 Oder vom Deutschen Gewerkschaftsbund, der darauf hinweist, dass »eine lebendige und kritische Zivilgesellschaft« ein »Eckpfeiler unserer Demokratie« sei: »Wenn demokratische Institutionen und Verfahren immer stärker unter Druck geraten, sind wir mehr denn je auf überzeugte, engagierte Demokratinnen und Demokraten angewiesen, die sich aktiv einbringen.«17
Wer also einen demokratischen Rechtsstaat fördern und bewahren will, sollte zivilgesellschaftliche Organisationen nicht fragen, ob sie »politisch neutral« sind, sondern sollte sich fragen, ob wir genug Organisationen und Initiativen haben, die politische Bildungsarbeit leisten und die politische Teilhabe ermöglichen.
Aber wer Kritik aus jeder Richtung vorwirft, sie sei links-grün und damit parteipolitisch motiviert, der wähnt schnell überall »linke und grüne Spinner«18. Und wer demokratiefördernden Organisationen und Projekten vorwirft, zu politisch zu sein, hat womöglich die Demokratie nicht richtig verstanden.
Was hat das mit Gleichberechtigung zu tun?
Für eine gleichberechtigte Gesellschaft zu streiten, ist kein Bonuslevel demokratischer Gesellschaften, sondern gehört zu ihren Kernaufgaben. Der Schutz von Minderheiten ist keine Aufgabe, der sich ein freiheitlich-demokratischer Rechtsstaat entledigen kann. Es ist seine Existenzgrundlage. Wenn im Geist dieser Kleinen Anfrage mit unterschiedlichen Mitteln weiter Politik gegen zivilgesellschaftliche Organisationen gemacht wird, die sich für Demokratieförderung und marginalisierte Gruppen stark machen, dann wird uns allen die Demokratie entgleiten. Wir werden uns fragen, wo angesichts dieser oder jener Ungerechtigkeit die Aufklärung, der Protest und die Demonstrationen bleiben. Doch wenn es so weit ist, dann wird Organisationen wie PINKSTINKS das Geld für Aufklärungsarbeit und politische Bildungsarbeit fehlen. Protest wird geächtet sein, eingeschränkt werden und Demonstrationen werden unerwünscht sein.
Wohin das führt, sieht man in den USA: Der Mann, der am 6. Januar 2021 seine Anhänger*innenschaft zu einem Staatsstreich angestachelt hatte, gab später der Antifa und der Black-Lives-Matter-Bewegung die Schuld daran.19 Mittlerweile hat Trump als erneut gewählter Präsident die Verbrecher*innen des 6. Januar begnadigt, er fährt fort, den Rechtsstaat mit aller Macht zu demolieren und er sieht sich selbst bereits als König.20
Wer das bei uns verhindern will, darf Zivilgesellschaft nicht verunmöglichen, sondern muss sie ermächtigen. Und ja, das heißt auch: finanzieren beziehungsweise einer Finanzierung nicht im Wege stehen. Ansonsten ist am Ende niemand mehr da, um die Machtergreifung faschistischer Autokraten rechtzeitig zu verhindern.