Liebe Freund*innen,
wir brauchen nicht drum herumzureden: Laut aktueller Wahlprognosen wird Deutschland nach der Bundestagswahl noch weiter nach rechts rücken.1 Die CDU liegt weiterhin in Führung und wird mit Friedrich Merz vermutlich den nächsten Kanzler stellen. Allerdings wird sie nicht allein regieren können. Also stellen nicht nur wir uns die Frage:
Mit wem glaubt die CDU eigentlich regieren zu können?
Wenn es nach den Aussagen von Merz geht, dann nicht mit der AfD. Für ein paar migrationspolitische Ekelhaftigkeiten nimmt man zwar gerne die Stimmen von Rechten in Kauf – wie vergangene Woche im Bundestag zu sehen war –, aber grundsätzlich wird nach wie vor eine Brandmauer behauptet. Laut eigener Aussage wird Merz »mit dieser Partei keine Gespräche führen, keine Koalitionsverhandlungen beginnen und ganz sicher keine gemeinsame Regierungsarbeit machen”.2 Aber selbst wenn Friedrich Merz von dem Inhalt dieser Aussage überzeugt wäre, treibt er sich und seine Partei immer noch in die Arme der AfD. Denn abgesehen von einer Tolerierung durch die Rechten blieben als Optionen für eine Regierungskoalition nur noch die SPD und die Grünen. Aber die angeblich »große Koalition« mit der SPD ist unbeliebt und problematisch. Sie vermittelt bei maximalem Reformbedarf größtmöglichen Stillstand und verstärkt den Eindruck, dass Wählen sowieso nichts ändert.
Und die Grünen wurden von der CDU/CSU zum politischen Feind erklärt.
Was bezweckt die CDU mit dem Feindbild Grüne?
Der Aufbau der Grünen als Feindbild erfolgt bereits seit einigen Jahren: Verbotspartei, Genderideologie, Verbrennerabschaffer, bayernfeindlich, wirtschaftsfeindlich, die ganze Palette. In der Politik wird zwar oft mit harten Bandagen gekämpft, aber die Grünen werden von Konservativen in einer Weise angegangen, die schlicht demokratieschädigend ist. Etwa wenn Markus Söder die Umweltministerin Steffi Lembke als »diese grüne Margot Honecker« bezeichnet oder der thüringische Ministerpräsident Mario Voigt die Grünen als »Energie-Stasi« beschimpft.3
»Mit diesen Grünen«, die ihren demokratischen Job zweifellos sehr anders definieren als die CDU/CSU, »ist eine Zusammenarbeit nicht möglich«, sagt Friedrich Merz.4 Also außer in Hessen, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, wo seit einigen Jahren ohne Probleme Koalitionen zwischen Grünen und CDU regieren.
Merz plappert mit diesem Satz ungeniert die Springer-Presse nach, die sich seit Jahrzehnten in einer »linksgrünen Meinungsdiktatur« wähnt und eine Hetz-Kampagne nach der nächsten dagegen fährt. Während in der Realität alleine Helmut Kohl und Angela Merkel insgesamt auf 32 Jahre Regierungszeit kommen – immer ohne die Grünen. Tagelang regt sich die »Bild«-Zeitung künstlich darüber auf, dass Robert Habeck Leute wegen Beleidigung angezeigt hat, und befeuert den Hass gegen eine angebliche linke Elite, die Wutbürger mit Hausdurchsuchungen gängelt. Dass Robert Habeck keine Hausdurchsuchungen anordnen kann – egal. Und dass Friedrich Merz ebenfalls mit gutem Recht sehr oft juristisch gegen Beleidigungen vorgeht, wird von der »Bild« ebenfalls ignoriert.5
Um nicht selbst als Teil von »denen da oben« wahrgenommen zu werden, tun die führenden CDU/CDU-Politiker*innen, was möglich ist, damit vor allem die Grünen als »die da oben« identifiziert werden. Angesichts der bislang eher überschaubaren Machtoptionen dieser Partei eine geradezu lächerliche Strategie. Aber sie funktioniert. Nur eben überhaupt nicht so wie gedacht.
Wohin führt das?
Wer wissen will, was passiert, wenn rechtskonservative Politik mit tendenziöser Berichterstattung kuschelt, um demokratische Mitbewerber*innen, Prozesse und Organisationen mit Dreck zu bewerfen, muss nur einen Blick auf Großbritannien werfen. Fünf Jahre ist der Brexit jetzt her und die wirtschaftliche und die soziale Situation verschlechtert sich zusehends.6 Menschen haben gegen ihre eigenen Interessen gestimmt, weil ihnen erzählt wurde, die EU sei ein undemokratisches, bürokratisches Monster, das für Armut, Gängelung und Zuwanderung verantwortlich sei. Anstatt die Verantwortung für die Folgen von Sparpolitik auf Kosten der Bevölkerung, Klassismus, kolonialistischem Größenwahn und Misswirtschaft zu übernehmen, wurde einfach alles der EU zugeschoben. Mit entsprechenden Folgen: Wähler*innen, die ihr Land von »diesen furchtbaren EU-Gesetzen« befreit sehen wollten, konnten vor lauter Lügen und Anschuldigungen nicht ein einziges Gesetz nennen, das konkret abgeschafft werden sollte.7
Und Wähler*innen, die hierzulande für Freiheit und Unabhängigkeit sind, regen sich über den Ausbau der erneuerbaren Energiegewinnung auf – die uns unabhängig von fossilen Brennstoffen und politisch fragwürdigen Verbindungen machen würde.
Wie alle Parteien machen auch die Grünen Fehler. Man muss sie nicht wählen und hat jedes Recht, sich einfach für eine andere demokratische Partei zu entscheiden. Aber wenn Parteien demokratische Mitbewerber*innen verächtlich machen und verbal zum Abschuss freigeben, dann werden wir nach der Bundestagswahl in einem Land aufwachen, in dem man die Rechten unter reumütigen Bekundungen an die Macht lassen müssen wird. Nach dem Motto: Schade, schade, aber ab jetzt leider nur noch mit rechtsextremen Parteien, denn mit den anderen »ist eine Zusammenarbeit nicht möglich«. Aber wir haben ein massives Problem mit rechtsextremen, antidemokratischen Parteien. Gerade deshalb sollte politische Gegnerschaft nie zu Feindschaft verzerrt werden. Am Ende geht es darum, was Demokrat*innen aus diesem Land machen. Und dass sie es niemals, wirklich niemals, den Rechtsextremen überlassen.